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Wie die Welt endet: Roman (German Edition)

Wie die Welt endet: Roman (German Edition)

Titel: Wie die Welt endet: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will McIntosh
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befand sich ein Brunnen, in dessen Mitte eine geflügelte Nymphe die Arme zum Himmel reckte und Wasser versprühte. Auf der anderen Seite wiegte sich ein ganzes Beet gelber Tulpen im leichten Wind. Der Garten befand sich in einem Tal, umgeben von hohen Bergen mit weißen Gipfeln. Aus einer Höhle in einem der Berge stürzte ein Wasserfall in einen See, und sein weißes Rauschen bildete zusammen mit dem Plätschern des Brunnens eine harmonische Geräuschkulisse.
    » Noch fünf Minuten bis zu Ihrem ersten Date«, informierte mich eine honigsüße Frauenstimme aus dem Himmel. Ich fragte mich, ob Frauen wohl eine Männerstimme zu hören bekamen.
    » Spiegel, bitte«, sagte ich und kontrollierte, ob ich auch keine Schuppe in den Augenbrauen hängen hatte. In der virtuellen Umgebung war alles glänzend und perfekt, bis auf uns Menschen– für uns galt, dass wir naturgetreu abgebildet wurden.
    » Danke.« Der Spiegel verschwand wieder. Bei einem Blind Date ist ein Spiegel nicht besonders nützlich, denn das Geschehen selbst bringt einen schon genug in Verlegenheit.
    Links von mir erschienen die Eckdaten meines ersten Dates in der Luft, zusammen mit der Anzeige des Lügendetektors, auf der im Moment kein Ausschlag zu sehen war. Die Dame hieß Maura, aber das musste nichts heißen, denn viele Frauen gaben ihren richtigen Namen nicht an, um sich vor Stalkern zu schützen. Sie war sechsunddreißig, Ärztin, und wohnte in Trenton. Sie mochte Fuzz-Jazz, Postal Music und Freerunning. Ich holte ein paarmal tief Luft und bereitete mich auf achtunddreißig Drei-Minuten-Dates vor.
    Maura materialisierte sich in dem Sessel mir gegenüber. Sie hatte buschige Augenbrauen und ein spitzes Kinn, dazu eine lange, schmale Nase, und man sah ihr unwillkürlich in die Nasenlöcher, wenn man sie anschaute. Irgendwie sah sie aristokratisch aus. Interessant.
    » Hi, Jasper. Ich habe ein paar Fragen, die ich dir stellen möchte, und dann kannst du mich etwas fragen, wenn du willst.« Sie sprach schnell, aber bei nur drei Minuten Zeit war das in Ordnung.
    » Einverstanden«, sagte ich. Plötzlich juckte mir die Nase, aber ich widerstand dem Drang, mich zu kratzen. Für den ersten Eindruck ist es nicht gut, wenn man sich im Gesicht kratzt oder überhaupt berührt.
    » Wie oft hast du eine Ehefrau oder eine Freundin betrogen?«
    Mit offenem Mund starrte ich sie an. War das ein Witz? Was war das denn für eine Eröffnungsfrage?
    » Weniger als zwölf Mal«, sagte ich schließlich.
    Sie sah mich genauso an, wie meine Grundschullehrerinnen früher, wenn ich ungezogen gewesen war und das auch wusste.
    » Stimmt deine Angabe über deinen Lohn?«
    » Manchmal.« Mein Lohn war ja nicht besonders beeindruckend, und wenn ich gelogen hätte, hätte ich bestimmt mehr angegeben, als ich tatsächlich verdiente. Vielleicht lautete ihre Frage eigentlich: » Was machst du eigentlich hier bei deinem Hungerlohn? Du bist offensichtlich ein armer Schlucker aus den Armenvierteln.«
    » Hast du beim Sex irgendwelche perversen Vorlieben?«
    » Was verstehst du unter pervers?«
    Ich kannte diesen Frauentypus. Sie hatte beim Dating ein paarmal schlechte Erfahrungen gemacht, und jetzt konzentrierte sie sich mehr darauf, was sie nicht wollte, als darauf, was sie sich wünschte. Sie war jetzt schon böse auf mich, weil ich sie möglicherweise rücksichtslos behandeln würde, falls wir uns trafen.
    Als sie schließlich fertig war, stellte ich ihr auch ein paar Fragen: » Hast du jemals einen Einkaufswagen aus einem Supermarkt geklaut?« » Was ist dein Lieblingssong von den Drowned Mermaids? Was, du kennst die Drowned Mermaids nicht? Hmmm. Das könnte ein Problem sein.« Ich tat so, als würde ich mir Notizen machen. Anscheinend merkte sie nicht, dass ich bloß sarkastisch war. Maura löste sich auf, und ich kratzte mir genüsslich die Nase.
    Als Nächste kam Victoria. Sie war zu dick: groß und kastenförmig, ein Rechteck über unproportional dünnen Beinen. Während unseres Gesprächs machte ich mir Vorwürfe wegen meiner Oberflächlichkeit, dann aber widersprach ich der scheltenden Stimme in mir: Attraktivität war wichtig– sie war zwar nicht allein ausschlaggebend, aber doch ein wesentlicher Faktor, und das wollte ich nicht leugnen, bloß um meinen unattraktiven Gesprächspartnerinnen eine Freude zu machen. Eine Freundin musste einigermaßen gut aussehen, oder jedenfalls in meinen Augen gut aussehen. Zum Beispiel fand ich schlaksige Frauen mit Überbiss ungeheuer attraktiv.

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