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Wie die Welt endet: Roman (German Edition)

Wie die Welt endet: Roman (German Edition)

Titel: Wie die Welt endet: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will McIntosh
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weißen Stoff vor den Himmel gehängt. Wenn sie nur nicht im Rollstuhl gesessen hätte. Aber andererseits wäre sie ohne den Rollstuhl für mich unerreichbar gewesen. Wenn ich mit ihrer Behinderung klarkäme, könnten wir wohl einen vernünftigen Kompromiss schließen, so wie sie in Liebesbeziehungen vorkommen, auch wenn wir das alle gern leugnen: Sie würde sich mit einem etwas unreifen, mageren Mann mit großer Nase zufriedengeben, und ich bekäme dafür eine Frau, die attraktiver wäre, als ich es mir hätte vernünftigerweise erhoffen können, deren Arme und Beine aber im Großen und Ganzen nutzlos waren.
    » Warum haben sie die Leute denn nicht gewarnt?«, fragte ich, dabei wollte ich die Antwort eigentlich gar nicht hören. Aber ich musste etwas sagen, denn ich hatte schon drei Sekunden oder noch länger geschwiegen.
    Maya lachte. » Sie haben es doch jahrelang von allen Dächern gebrüllt! Und noch vor wenigen Wochen hat ein Artikel dazu in der New York Times gestanden. Aber auf Akademiker hört heutzutage niemand mehr. Klugheit ist passé.«
    Ja, das stimmte. Und in den letzten zehn Jahren war alles nur noch schlimmer geworden. Stromausfälle, fünfundsiebzig verschiedene Arten Terroristen, Wasserknappheit, Epidemien. Es erinnerte mich an eine Geschichte über Frösche, die ich mal gehört hatte: Wenn man einen Frosch in einen offenen Topf mit Wasser setzt und das Wasser heiß macht, bleibt er einfach darin sitzen, weil er allmähliche Veränderungen der Wassertemperatur nicht wahrnehmen und daher auch nicht darauf reagieren kann. Er könnte jederzeit rausspringen, aber der Zeitpunkt, wenn sein kleines Gehirn ihm sagte, er müsse jetzt springen, kommt nicht. Also verkocht er.
    Ich schaute in Mayas ernsthafte, klare Augen und übernahm versuchsweise ihr hoffnungsloses Bild von einer Zukunft voller Epidemien und Hunger, Fliegen, die über Leichen summen, und bewaffneter Männer mit Stiernacken.
    Konnte es wirklich immer schlimmer werden? Konnte die Wirtschaft tatsächlich zusammenbrechen? Plötzlich hielt ich es für möglich.
    » Das könnte schrecklich werden«, war alles, was mir dazu einfiel.
    Maya schaute auf die Anzeige und nickte leicht. » Tut mir leid, dass ich dir das vor die Nase geknallt habe. Deswegen sind wir nicht hier. Aber du hast danach gefragt.«
    Sie holte tief Luft, lächelte mich an und zeigte dabei ihre vielen Zähne.
    » Aber ich glaube, eigentlich wolltest du einen finanziellen Rat haben«, sagte sie dann. » Leg dein ganzes Geld in Munition an.«
    Ich lachte, und einen Moment lang dachte ich: » Vielleicht doch.« Maya hatte etwas, das mir ein warmes, fast nostalgisches Gefühl gab.
    Schweigend saßen wir da und lauschten dem Geplätscher des Brunnens.
    » Also.« Sie räusperte sich. » Kennst du einen Witz?«
    Ich lachte. » Ja. Da war ein Mann, der konnte ziemlich dämlich sein…«
    Maya verblasste, und das war ein Glück, denn ich wusste nicht, wie der Witz weiterging.
    Ein neues Profil wurde angezeigt, aber es fiel mir schwer, mich darauf zu konzentrieren. Danielle, dreiunddreißig, Energieberaterin– was immer das heißen sollte, eine zwölfjährige Tochter, Witwe. Ich hätte mir Zeit zum Nachdenken gewünscht.
    Danielle tauchte mir gegenüber auf.
    » Jasper, wie schön, dich kennenzulernen!« Sie wackelte begeistert mit dem Kopf. Danielle sprudelte über vor Lebhaftigkeit und war auf italienische Weise attraktiv. Wirklich schöne Lippen.
    Erfolglos versuchte ich, mit ihrem Enthusiasmus mitzuhalten. Sie schien nicht zu bemerken, dass ich aus einem tiefen schwarzen Loch heraus mit ihr sprach. Sie erkundigte sich nach meinem Job, ich fragte nach ihrem. Sie ließ ein paar flirtende Bemerkungen fallen, auf die ich nach besten Kräften reagierte. Ich fragte mich, wie ihr Mann wohl ums Leben gekommen war.
    In meiner Jugend hatte ich es für selbstverständlich gehalten, dass es zwar ab und zu Kriege, Katastrophen und Rezessionen gab, dass die Lage insgesamt aber ziemlich gleich bleiben würde. Die Menschen hatten sich schon immer gegenseitig Leid zugefügt, eigentlich ununterbrochen, von Anfang an. Und weil man bessere Methoden erfand, um die Mitmenschen leiden zu lassen, fügte man ihnen natürlich noch mehr Leid zu. Als die Biotechnologie dann an einen Punkt gelangte, wo ein cleverer Amateur ohne nennenswerte finanzielle Mittel Epidemien in die Welt setzen konnte, nutzten einige diese Möglichkeit natürlich aus.
    Und plötzlich schien mir alles klar. Ich lebte in der Apokalypse.

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