Wie du Ihr
bergab durchs Tal, aber sie hatte recht. Wir hatten noch eine ganze Stunde Zeit, ehe es dunkel wurde. Doch Jonathan hatte andere Ideen.
»Lasst uns da unten übernachten.« Er deutete auf eine alte Scheune, die in Flussnähe im Schatten mehrerer Kiefern stand.
»Aber warum denn?«, fragte Ms Jenkins. »Alles, was ihr braucht, ist da oben: euer Essen, eure Schlafsäcke und eure Ausrüstung.«
»Und jede Menge Fragen«, ergänzte Jonathan. »Außerdem noch diverse Vorträge, Pläne und die anderen Gruppen.« Ich wusste, was er meinte. Der Tag war alles andere als perfekt gewesen, aber es wurde langsam besser. Wenn wir weiterfuhren, würden wir alles wieder kaputt machen.
»Wenn ihr im Moment zu müde zum Weiterfahren seid«, versuchte Ms Jenkins zu argumentieren, »setzen wir uns einfach an den Straßenrand und ruhen uns aus. Ich bin mir sicher, dass sie Joe zurückschicken, wenn wir bei Einbruch der Dunkelheit noch nicht da sind.«
»Tut mir leid. Die Gruppe entscheidet. Kommt schon.« Jonathan hievte sein Rad über den Zaun und blickte uns erwartungsvoll an. Einer nach dem anderen folgte ihm, bis Ms Jenkins allein auf der Straße stand und keine Wahl hatte.
»Wir sollten uns wenigstens erkundigen, ob wir überhaupt in der Scheune übernachten dürfen. Weiter unten war ein Haus. Soll ich kurz hinfahren und nachfragen?«
Aber wir zogen bereits Richtung Scheune. Die Gruppe übernahm die Führung und traf ihre eigenen Entscheidungen, genau wie es sein sollte. Es fühlte sich gut an.
Die Scheune auch. Es war eine alte Holzhütte mit einer winzigen Fensterreihe direkt unter dem Dach. Vermutlich hatte man sie irgendwann zum Schafescheren benutzt. Die Scheune war leer bis auf einen mannshohen Stapel Heuballen in einer Ecke. Es roch nach Heu und Kuhscheiße, Traktorenöl und Rost und nach modrigen Spinnweben in dunklen Ecken. Wir schoben unsere Räder ins Innere – aus Sicherheitsgründen, wie Jonathan sagte. In Wirklichkeit ging es natürlich vor allem darum, nicht entdeckt zu werden.
Lisa und ich hatten unsere Jacken dabei. Wir breiteten sie auf dem Boden aus und Rebecca kippte das Essen darauf aus. Ein wahres Festmahl: zwei Tüten Chips, ein Laib Brot, Bananen, zwei große Flaschen Cola und ein Schokoriegel für jeden. Essen, das miese Laune garantiert vertrieb. Schon bald lachte Ms Jenkins mit uns und trank aus den Gemeinschaftsflaschen.
Wir zogen uns früh in unser »Schlafzimmer« auf den Heuballen zurück. Weil die Fläche nicht allzu groß war, mussten wir uns dicht nebeneinanderlegen und schon bald wurde uns unter der behaglichen Decke von Gesprächen mollig warm. Es waren die typischen Gespräche, die entstehen, wenn sich Menschen, die sich kaum kennen, einander öffnen. Geschichten, mit denen man die anderen beeindrucken oder zum Lachen bringen will. Bis man irgendwann auch über den Erzähler lacht, weil man weiß, dass das alles nicht so ernst gemeint ist.
Lisa redete am meisten. Die stille Lisa. Plötzlich war sie kaum noch zu bremsen. Als wäre sie in der Dunkelheit heimlich verschwunden und ein anderes Mädchen an ihre Stelle geschlüpft. Sie erzählte uns von der Privatschule, auf die ihr Vater sie geschickt hatte, um sie vor den bösen Jungs zu schützen. Ich fragte mich, was er wohl sagen würde, wenn er sie jetzt sehen könnte. Wie sie Seite an Seite zwischen Jonathan und mir in einer wildfremden Scheune lag.
Ms Jenkins hörte lange Zeit nur zu, doch irgendwann rückte auch sie mit ein paar Geschichten heraus. Mit überraschenden Geschichten. Dass sie als Kind mal in Afrika gelebt und ein Jahr lang als Busfahrerin gejobbt hatte.
Wenn Jonathan redete, versuchte er immer wieder, das Gespräch auf die Gegenwart zu lenken. Wahrscheinlich weil die Sache mit der Scheune seine Idee gewesen war. Wir unterhielten uns über die anderen, die am Ende der Etappe übernachteten und früh schlafen gehen mussten. Und wie es Mr Camden ankotzen würde, wenn wir erst am nächsten Tag bei ihm aufkreuzten.
So war es auch. Allerdings war er fest entschlossen, sich nichts anmerken zu lassen. Es war acht Uhr morgens und wir waren bereits unterwegs. Als wir die Staubwolke des Geländewagens auf uns zukommen sahen, hielten wir am Straßenrand und machten uns auf einen gehörigen Anschiss gefasst. Ich sah, wie sich Ms Jenkins' Miene anspannte, als Mr Camden vom Beifahrersitz kletterte. Jetzt war sie eine von uns, eine ungezogene Schülerin mehr.
Ich erwartete eine Standpauke, aber es kam keine. Vielleicht fürchtete
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