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Wie du Ihr

Wie du Ihr

Titel: Wie du Ihr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Beckett
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gehört zu haben und das Geräusch einer anderen Stimme schien sie noch mehr in Panik zu versetzen. Eine Sekunde später krachte ein Gewehrschuss durch die Luft und verhallte im Tal. Ich musste nichts mehr erklären.
    »Lasst die Rucksäcke stehen. Keine Zeit!«, war alles, was ich herausbrachte. Die Hütte hatte eine Hintertür und ich rannte geradewegs durch sie hindurch, in der Hoffnung, dass sie begriffen und mir einfach hinterherliefen. Später erzählten sie, ich hätte so aufgelöst ausgesehen, dass sie auch ohne Schuss kapiert hätten, wie ernst die Lage war. Ich rannte, so schnell ich konnte, die Anhöhe empor, doch meine Kraft ließ nach und schon bald holten sie mich ein.
    »Wohin?«
    »In den Wald«, krächzte ich. »Verstecken.«
    Wir bogen vom Weg ab, zwängten uns durchs Gebüsch und schlitterten steile Abhänge hinunter. Nach einigen Minuten blieben wir mit zitternden Beinen stehen und zwängten uns hinter den Stamm eines umgestürzten Baums. Wir warteten und lauschten angespannt. Die Köpfe der anderen zum Bersten voll mit Fragen. Und in meinem Kopf die Antworten, die ich einfach nicht glauben wollte.

13
    22. April
    Gestern Abend ist er noch mal zu mir gekommen, um nach mir zu sehen. Ich war wach und wartete. Mittlerweile kann ich ihn schon am Geruch erkennen. Er ist Raucher und verwendet kein Rasierwasser. Er riecht nach frisch gewaschenen Kleidern. Ich hielt die Augen geschlossen und konzentrierte mich darauf, meinen Herzschlag zu verlangsamen. Ich weiß jetzt, wie das geht. Reine Übungssache. Einen Moment lang verzögerte sich auch sein Atem, als hätte er was gemerkt. Wir verharrten beide in der Dunkelheit und fragten uns, ob dies der richtige Moment zum Töten war. Wir warteten beide darauf, dass der andere seinen ersten Zug machte. Ich rührte mich nicht und er auch nicht. Ich hörte, wie er zur Krankenkarte am Fußende meines Betts ging. Dann umschlossen seine kalten Finger mein Handgelenk und fühlten meinen Puls. Bestimmt hat er gespürt, wie mein Herz kurz schneller schlug. Dann ging er langsam und beinahe geräuschlos wieder weg. Nur seine knackenden Fußknöchel verrieten ihn. Er blieb eine Weile vor meiner Tür stehen, in der Hoffnung, dass er mich ausgetrickst hatte. Vielleicht bekommt er allmählich Angst. Das sollte er auch.
    Als ich hörte, wie er endlich den Flur entlangging, schlüpfte ich lautlos aus dem Bett. Nachts sieht die Station ganz anders aus als tagsüber. Ein schummriger Ort voller seltsamer Geräusche. Überall Gurgeln und Murmeln ruhiggestellter Menschen. Verrückte mit verrückten Träumen, wahrscheinlich ohne dass sie sich dessen bewusst sind.
    Ich schlich langsam über den Flur und lauschte angespannt. Ich hörte alles: die schwache Melodie aus einem leise gedrehten Radio im Schwesternzimmer. Das Geräusch meiner nackten Füße auf dem schmutzigen Fußboden. Weiter vorne eine Bewegung, im zweiten oder dritten Zimmer vor mir. Der Arzt machte seine Runde fertig und sah nach echten Patienten. Nach Patienten, die er nicht zum Schweigen bringen musste. Ich schlich rasch zum Besucherzimmer, mit der Absicht, ihm zu folgen, wenn er wieder vorüberkam. Ich versuchte, kein Geräusch zu machen, und verfluchte die Tatsache, dass ich so lange ungeschützt hier draußen herumlaufen musste. Ich gelangte in die schützende Dunkelheit des Raums, verbarg mich hinter der halb offenen Tür und wartete, dass sich mein Puls wieder normalisierte. Ich kroch zu dem Stuhl mit den abschraubbaren Beinen und drehte eines ab. Als ich das Stuhlbein in der Hand hielt, beschleunigte sich mein Herzschlag wieder. Ich wartete.
    Ich hörte, wie er näher kam, und stellte mir vor, wie er mit großen, ahnungslosen Schritten und Unschuldsmiene den Flur entlangging. Ich stellte mir vor, wie es sich anfühlen würde, ihm den ersten Schlag auf den Hinterkopf zu versetzen, und meine Handflächen wurden feucht. Doch das Knacken seiner Knöchel hörte auf, ehe er an der Tür war. So, wie es sich anhörte, stand er genau vor meinem Zimmer und sah hinein. Ich hatte die Bettdecke so zusammengeknautscht, dass es von der Tür aus schien, als schliefe ich. Aber nicht, wenn er hineinging. Knack. Seine Füße bewegten sich. Eine kurze Pause, dann eilige Schritte den Flur entlang, viel zu schnell an mir vorbei.
    »Schwester! Schwester!«, hörte ich ihn alarmiert flüstern.
    »Was ist denn?« Es war Margaret.
    »Er ist weg. Er ist nicht in seinem Bett.«
    »Wer?«
    »Na, wer wohl? Der Junge.« Mehr musste er nicht

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