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Wie du Ihr

Wie du Ihr

Titel: Wie du Ihr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Beckett
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sie waren genauso überrascht wie ich. Niemand folgte mir.
    Draußen schien die Welt seltsam normal. Wahrscheinlich hat die Natur schon unzählige Erdbeben gesehen. In der Luft lag der vertraute Geruch nach feuchter Erde und auf den Blättern glitzerten feine Regentropfen. Alles sah ganz normal aus. Nur ein bisschen düsterer und unfreundlicher, als ich es in Erinnerung hatte. Je weiter ich mich von der Hütte entfernte, desto mehr spürte ich die Wildnis und Weite des Waldes. Überall sah ich Schatten. Ohne meinen Rucksack und die anderen fühlte ich mich schutzlos und allein. Obwohl der Pfad vor mir gut zu begehen war, hatte ich das Gefühl, dass der Weg hinter mir mit jedem Schritt schmaler wurde. Ich lief schneller, in der Hoffnung, der Angst zu entkommen, die mir den Hals zuschnürte. Nach jeder Biegung sah ich mich suchend nach Ms Jenkins um, aber ich konnte sie nirgends entdecken. Warum hatte ich den anderen unbedingt etwas beweisen wollen? Warum war ich nicht bei ihnen in der Hütte geblieben? Trotzdem lief ich weiter.
    Dann hörte ich plötzlich eine Männerstimme. Es kam so unerwartet, dass ich wie angewurzelt stehen blieb. Ich verstand zwar nicht, was sie sagte, aber irgendetwas am Klang der Stimme ließ mein Herz schneller schlagen. Ich sah in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war. Vor mir wand sich der Pfad hinauf zum Kamm und verschwand außer Sichtweite. Dann hörte ich Ms Jenkins' Stimme. Diesmal bewegte ich mich nicht und verstand die Worte.
    »Ich habe es Ihnen schon einmal gesagt. Lassen Sie mich gehen.« Sie klang wie jemand, der versuchte, ruhig und vernünftig zu klingen, aber kurz davor ist, in Panik auszubrechen. Das war der Moment, in dem ich hätte handeln müssen. Ich hätte rufen müssen. Oder schnell zurücklaufen und die anderen holen. Bis zur Hütte war es nicht weit. Ich hätte nicht einfach nur dastehen und dann langsam weiterschleichen sollen. Wie ein dummer, nutzloser Zuschauer.
    Geduckt schlich ich den Weg entlang und versuchte, keinen Laut zu machen. Trotzdem trat ich ständig auf Zweige und gegen Steine.
    »Du gehst erst, wenn wir das wollen.«
    »Hören Sie auf, mich zu belästigen.«
    »Wieso denn belästigen? Wir wollen uns doch nur ein bisschen mit dir unterhalten. Du hast uns noch gar nicht verraten, wie du heißt.«
    »Lassen Sie mich los!«
    Dann sah ich sie. Ich kauerte auf dem Boden und spähte vorsichtig über eine Baumwurzel. Sie standen nur zehn Meter von mir entfernt. Seitdem habe ich vieles vergessen, aber davon nichts. Kein einziges Detail.
    Es waren drei Männer. Sie standen alle drei mit dem Rücken zu mir. Der größte trug eine leuchtend rote Windjacke und Shorts. Er hatte die muskulösen Beine eines geübten Wanderers und trug feste Wanderschuhe mit dicken Socken. Er hatte Ms Jenkins gegen einen Baumstamm gedrängt und hielt ihre Handgelenke über ihrem Kopf fest. Die anderen beiden Männer standen daneben. Sie waren etwas kleiner und trugen Kapuzenjacken. Der eine war eher schmal, der andere stämmig. Der kräftigere hatte ein Jagdgewehr über der Schulter. Sie sahen beide völlig entspannt aus, als würde nichts Besonderes passieren.
    Am deutlichsten erinnere ich mich an Ms Jenkins oder an das, was ich von ihr sehen konnte. Sie trug ihre dunkelblaue, ärmellose Jacke und graue Shorts. Ich weiß noch, dass ein Schuh offen war und ihre Armbanduhr auf dem Boden lag. Ich erhaschte nur einen kurzen Blick auf ihr Gesicht, auf dem sich eine Mischung aus Wut und Beherrschung spiegelte. Ich war auch wütend und jedes Mal, wenn ich daran denke, werde ich noch wütender. Wütend auf ihn und die anderen Männer. Aber vor allem wütend auf mich selbst. Weil ich nicht gerufen oder etwas getan habe. Weil ich so nah war und einfach nur tatenlos zugesehen habe.
    Ich habe versucht, mir einzureden, dass mir anfangs nicht klar war, was hier eigentlich vor sich ging. Aber das stimmt nicht. Die Wahrheit ist, dass ich ein Feigling bin.
    »Weißt du, was?« Der große Kerl übernahm das Reden. Er lehnte sich gegen Ms Jenkins und verdeckte sie so, dass ich sie nicht mehr sehen konnte. »Wenn du wütend bist, bist du sogar noch hübscher. Sag mal, hast du einen Mann oder einen Freund zu Hause?«
    »Was wollen Sie von mir?«
    »Oh, entschuldige. Ich bin dir wohl nicht direkt genug.«
    Es ist mir egal, was er gesagt hat. Er wusste genau, was er tat. In seiner Stimme war nichts Verrücktes. Es war pure Absicht. Jedes Wort, jede Geste. Grausame Absicht.
    »Fick dich

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