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Wie du Ihr

Wie du Ihr

Titel: Wie du Ihr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Beckett
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selbst!«
    Das war sie. Meine allerletzte Chance, etwas zu tun. In Gedanken habe ich die Szene bestimmt tausendmal durchgespielt. Und es ist immer genau an dieser Stelle, in dem Moment, als sie die Beherrschung verliert und jede Maske fällt, wo sich alles entscheidet. Aber ich tat nichts. Meine Chance war vorbei.
    Es ging alles so schnell. Die Bilder ziehen einzeln an mir vorüber wie bei einem Comic. Ein Schreckensbild nach dem anderen. Bis das letzte, unvermeidliche Bild da ist. Kein Abspann, keine Namen der Schauspieler, kein Make-up, das abgewischt wird, keine Lichter, die angehen.
    Er lässt eine Hand los. Seine Bewegungen sind langsam und selbstsicher. Drei Männer und ein Gewehr, ohne Regeln und nichts zu befürchten. Seine Hand gleitet nach unten, streift ihr Gesicht und über die Rundung ihrer Brust. Sie schlägt zu. Nicht mit der Hand, sondern mit dem Knie. Sie erwischt ihn im Schritt, er stöhnt auf und lässt sie los. Sie macht einen Satz nach vorn. Ich sehe zu. Die anderen beiden rücken zusammen und drücken sie wieder gegen den Stamm. Er richtet sich wieder auf. Beschimpft sie. Sie schimpft zurück. Dann der Schlag mit dem Arm, genau in dem Moment, als sie sich losreißen will. Ihr Kopf ist gesenkt, als der Schlag sie trifft. Der Kopf schnellt nach hinten. Ein schreckliches Knacken und ihr Hinterkopf knallt gegen den Baumstamm. Ihr Körper sackt zusammen. Ich sehe immer noch zu.
    Alle drei beugen sich über sie. »Verdammt. Ich glaube, du hast sie ... « Schweigen.
    »Ach was. Der geht's gut. Lasst mich mal sehen.«
    »Aber sieh doch mal. Da ist...«
    »Oh, Scheiße ... «
    Sie fummeln an ihrem Nacken, ihrem Kopf. Dann keine Bewegung. Totenstille, die sich im ganzen Tal ausbreitet und alle meine Gefühle mitnimmt.
    »Das wollte ich nicht...«
    »Du hast sie umgebracht.«
    So simpel. So dumm. So sollte das eigentlich nicht sein. Der Tod sollte etwas Bedeutungsvolles sein. Etwas Großes. Nicht nur irgendein Moment aus dem Nichts. Gerade eben noch am Leben und dabei, einen Weg zu überprüfen. Ein paar Fremde und dann ohne Vorwarnung, ohne Trara: nicht mehr am Leben. Es schien so nichtig, so sinnlos, so schäbig.
    In dem Moment, als sie das Wort sagten, rannte ich los und sie hinter mir her.
    Selbst wenn du um dein Leben rennst, ist dein Körper immer noch nur dein Körper. Dir wachsen weder plötzlich Flügel, noch entwickelst du übermenschliche Kräfte, so wie in den Filmen. Du kannst nicht einfach superschnell davonlaufen. Immer weiter und weiter. Wenn du Glück hast, hast du zwanzig Sekunden Vorsprung. Mehr nicht. Dann ist dein Körper am Ende. Irgendwann wirst du langsamer, ob du willst oder nicht. Deine Lungen brennen, deine Muskeln versagen, du taumelst nur noch. Neuer Sauerstoff gelangt in deine Beine und du läufst wieder los, wenn auch etwas langsamer als zuvor. Deine Verfolger müssen nur gleichmäßig laufen, dann kriegen sie dich. Selbst wenn sie am Anfang langsamer sind als du. Aber ich hatte Glück. Die drei rannten genauso panisch drauflos wie ich und gaben mir eine Chance. Ich hörte ihre verzweifelten Schritte hinter mir, die weder näher kamen noch zurückfielen. Ich konnte nicht mehr. Meine Lungen versagten und ich war mir sicher, dass sie mich kriegen würden. Aber als ich mich umdrehte, sah ich nur den ersten von ihnen. Er war wie ich stehen geblieben und rang keuchend nach Luft. Ich schöpfte neue Hoffnung.
    Ich lief wieder los und begriff, dass ich in einem Tempo laufen musste, das ich bis zur Hütte durchhalten konnte. Ich bin nicht besonders fit, aber ich bin siebzehn. Ich habe kein Auto. Ich gehe oft zu Fuß und spiele Fußball und Volleyball. Außerdem trainiere ich zweimal pro Woche Judo. Sie dagegen waren erwachsene Männer. Mit trägen Beinen vom jahrelangen Herumsitzen in Büros und schweren Bäuchen von den vielen Feierabendbieren. Mein Vorsprung wurde größer, aber sie gaben nicht auf. Ich brauchte noch mehr Zeit, damit ich die anderen in der Hütte rechtzeitig warnen konnte. Also verlangte ich meinem Körper Unmögliches ab und lief wieder schneller. Es tat so weh, dass ich kurz davor war, mich zu übergeben. Doch dann sah ich das grüne Dach und mein Körper vergaß die Schmerzen.
    »Jonathan, Rebecca, Lisa! Ihr müsst abhauen!« Ich hatte kaum noch Luft zum Rufen und meine Stimme war viel zu leise.
    »Hallo, Marko!«, rief Lisa vom Balkon herunter. Sie sah zu entspannt aus. Sie begriff nichts. »He, Leute. Marko ist wieder da.«
    Meine Verfolger schienen es auch

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