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Wie du Ihr

Wie du Ihr

Titel: Wie du Ihr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Beckett
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ich.
    Wir machten ein Stück oberhalb des Ufers ein Feuer oder, besser gesagt, wir sahen zu, wie Jonathan es machte. Als es endlich richtig brannte, setzten wir uns im Kreis und versuchten, unsere nasse Unterwäsche auf Stöcken zu trocknen. Der Schein der Flammen tanzte auf unseren Gesichtern und erweckte sie zum Leben. Jonathan schnitt den Aal in vier lange Streifen. Dann wickelten wir das Fleisch um einen Stock und drehten ihn langsam über den Flammen.
    Es war die wohlige Wärme des Feuers. Es war das Gefühl, am anderen Ufer in Sicherheit zu sein. Es war der heiße und rauchige Geschmack des Essens. Es waren die Körper der anderen, die jetzt unter den Kleidern viel wirklicher waren. Es waren so viele Dinge. Mir war noch nie so warm gewesen und ich hatte noch nie so sehr das Gefühl gehabt, genau am richtigen Ort zu sein. Es gab nur eines, was nicht stimmte. Was fehlte. Aber keiner erwähnte es. Nach dem Essen standen Jonathan und Rebecca gemeinsam auf, als hätten sie es abgesprochen.
    »Wir, ähm, machen nur einen kleinen Spaziergang und sehen nach, welchen Weg wir heute Abend nehmen«, sagte Jonathan. Sogar hier und jetzt gab es immer noch Dinge, bei denen man lieber nicht ehrlich war.
    »Wir sind bald wieder da«, fügte Rebecca hinzu.
    »Komisch, was?«, sagte Lisa, als sie fort waren.
    Wir saßen dicht nebeneinander. Meine Augen tränten von der Hitze des Feuers. Ich starrte in die Flammen. »Was denn?«
    »Die beiden.«
    »Stimmt.«
    Wir saßen schweigend da. Die Stille um uns herum war voller unausgesprochener Dinge.
    »Ich kann immer noch nicht glauben, dass sie tot ist«, flüsterte Lisa.
    »Ich weiß.«
    »Erzähl mir noch mal, wie es passiert ist.«
    Also tat ich es. Und dieses Mal erzählte ich es anders, weil sie anders zuhörte. Dieses Mal war ihre Miene nicht schockiert und fassungslos. Dieses Mal musste ich mich nicht beeilen oder versuchen, es auf eine ganz bestimmte Weise zu schildern. Ich konnte einfach erzählen, wie es passiert war. Es war, als wäre ich noch mal dort, nur dass Lisa mit dabei war. Als ich geendet hatte, schwiegen wir wieder und die Stille füllte sich mit Erinnerungen.
    »Meinst du, sie hat es gewusst?«
    »Was denn?«
    »Dass sie sterben muss.«
    »Ich weiß nicht. Es ging alles so schnell.«
    »Ja, schon, aber ...«
    »Ich wünschte, ich hätte was getan.« Die Tränen schmeckten salzig in meinem Mund. »Sie wusste nicht mal, dass ich da war. Sie dachte, sie wäre ganz allein.«
    »Aber was hättest du denn tun sollen?«, sagte sie. Sie legte den Arm um mich.
    In diesem Moment kamen Jonathan und Rebecca wieder.
    »He, ihr zwei. Haltet euch zurück, ja?«, sagte Jonathan. Dann sah er meine Tränen. »Oh, tut mir leid.«
    »Schon gut«, schniefte ich.
    Sie setzten sich wieder zu uns. »Wisst ihr, was ich mit diesen Arschlöchern machen würde, wenn ich sie zwischen die Finger bekäme?«
    Wir hatten alle unsere Fantasien, bis auf Lisa, die ihre Gedanken für sich behielt, während wir versuchten, uns gegenseitig mit grausamen Strafen zu übertrumpfen. Es dämmerte und leises Vogelgezwitscher drang aus den Bäumen. Rebecca schlug vor, dass wir uns einen Platz zum Schlafen suchten. Sie erklärte sich freiwillig bereit, das Feuer auszumachen und die erste Wache zu übernehmen. Wir fanden eine breite, flache Stelle zum Schlafen. Es fühlte sich überhaupt nicht komisch an, als sich Lisa hinter mich legte und an mich schmiegte. Und es fühlte sich auch nicht komisch an, dass sie die Arme um mich schlang und meinen Nacken küsste. Ich legte meine Hand auf ihre und drückte sie fest. Ich hatte immer noch Hunger, wir wussten immer noch nicht genau, wo wir waren, und wir hatten allen Grund, uns ernsthaft Sorgen zu machen. Doch als ich schließlich erschöpft einschlief, lag ein Lächeln auf meinen Lippen.
    Als wir in der folgenden Nacht aufbrachen, konnte ich mir zum ersten Mal vorstellen, dass wir es schaffen würden, hier wieder herauszukommen. Laut Rebecca waren wir weniger als sieben Stunden vom Ende der Teerstraße entfernt. Der Flusspegel war noch etwas angestiegen, schien sich aber langsam einzupendeln. Wir würden den nächsten Kamm erklimmen, zum Waiohine River runtergehen und dem Fluss folgen. Es hörte sich ganz einfach an. Sogar im Dunkeln. Wir redeten alle wieder, rissen Witze und neckten uns gegenseitig – es war ganz anders als das bedrückte Schweigen der vorherigen Nacht. Wie unbeschwerte Jugendliche, die einen Ausflug machten und Spaß hatten. Als wäre es vorbei.

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