Wie du Ihr
Lisa.
»Zuerst müssen wir ans andere Ufer«, sagte Rebecca.
»Aber wie denn? Der Fluss ist in der Mitte bestimmt wahnsinnig tief.«
»Auf der anderen Seite können wir von mir aus ein Feuer machen.«
»Aber dann sind wir klatschnass«, sagte ich und vergaß, dass ich mir geschworen hatte, nicht mehr zu jammern. »Mir ist jetzt schon kalt.«
»Mir auch«, sagte Lisa.
»Wir können uns ja am Feuer wärmen«, entgegnete Rebecca. »Es ist noch nicht hell. Wir sollten noch ein bisschen gehen. Eine wasserdichte Hülle haben wir noch. Wenn wir unsere Kleider reinstopfen und sie übers Wasser treiben lassen, bleiben sie trocken.«
»Du willst, dass wir uns ausziehen?«, fragte Lisa.
»Ich will nur, dass wir hier lebend wieder rauskommen.«
»Und ich will das Ding hier braten«, fügte Jonathan ungeduldig hinzu. »Kommt schon. Worauf wartet ihr?« Er streifte zuerst den Rucksack ab, dann seinen Fleecepulli und sein T-Shirt.
»Die Unterwäsche kannst du anlassen«, sagte Rebecca. »So schlimm ist die Lage zum Glück noch nicht.«
Wir zogen unsere Sachen aus und stopften sie in die letzte intakte Hülle. Rebecca rollte den Sack fest zusammen und verstaute ihn im Rucksack. Jonathan hackte dem Aal sicherheitshalber den Kopf ab, »damit er im Wasser nicht auf dumme Gedanken kommt«, und wickelte sich den Rest wie einen exotischen Schal um den Hals. Ich versuchte, die anderen nicht anzusehen, aber es gelang mir nur schlecht. Ich spürte den Wind auf meiner Haut. Es war viel zu kalt, um lange herumzustehen.
»Ihr könnt doch alle schwimmen, oder?«, versicherte sich Rebecca.
»Ich nicht so gut«, gestand Lisa.
»Dann nimm du den Rucksack. Der treibt auf dem Wasser. Marko, du bist doch ein guter Schwimmer, oder?«
»Ja, ich war bis zur Zehnten im Schwimmverein.«
»Dann hilfst du Lisa.«
Rebecca ging wie immer voran, dicht gefolgt von Jonathan. Ich sah, wie sich ihre bleichen Körper zielstrebig durchs Wasser bewegten und dann in der Finsternis verschwanden. Ein lautes Klatschen und sie schwammen.
»Alles okay?«, fragte ich Lisa.
»Glaub schon«, antwortete Lisa mit zitternder Stimme.
Es war ein komisches Gefühl, halb nackt so dicht neben ihr zu stehen, dass wir uns fast berührten. Die Dunkelheit und die Gefahr machten die Situation unwirklich. Unbeholfen versuchte ich, den peinlichen Moment zu überspielen. Ich streckte die Hand aus, um ihre Schulter zu berühren und ihr »Danke« und »Alles wird gut« zu signalisieren. Dabei berührte ich versehentlich ihre Brust und ich zog hastig meine Hand wieder zurück.
»Entschuldige, ich wollte nicht ...« Ich wusste vor lauter Verlegenheit nicht, was ich sagen sollte.
»Schon gut. Komm schon. Du musst mir helfen.«
»Halt dich am Rucksack fest. Ich schwimme voraus und ziehe dich.«
Das Wasser war eiskalt, aber ich spürte es kaum. Ich war zu sehr damit beschäftigt, mich über Wasser zu halten, nicht die Orientierung zu verlieren und mich um Lisa zu kümmern. Vor lauter Angst verkrampfte sie sich und bewegte sich viel zu hektisch – genau so, wie man es im Wasser nie tun sollte. Ich sah, wie sie verzweifelt mit den Armen ruderte. Ihr Kopf tauchte unter und wieder auf. Sie versuchte, auf den Rucksack zu klettern, aber er würde ihr Gewicht nie tragen. Wenn sie ihn zu sehr nach unten drückte, würde er sich vollsaugen und untergehen.
»Ganz ruhig«, sagte ich.
Ich schwamm neben ihr. »Leg dich auf den Rücken. Ich halte dich fest. Lass die Beine ganz locker. So, und jetzt hältst du dich mit einer Hand am Rucksack fest. Keine Angst, ich bring uns rüber.«
Genau wie ich es im Schwimmverein geübt hatte. Die Strömung zog uns nach unten. Sie war stärker, als ich gedacht hatte, sodass ich mich ganz schön anstrengen musste. Als wir endlich wieder stehen konnten, war ich völlig außer Atem.
»Danke, Marko.« Lisa umarmte mich einen Moment lang, ehe sie aus dem Wasser ging. Die anderen warteten am Ufer auf uns. Jonathan nahm uns den Rucksack ab und seine steif gefrorenen Finger mühten sich mit den Verschlüssen ab.
»Ja, sie sind immer noch trocken!«
Wir trockneten uns mit einem Pulli ab und schlüpften hastig in unsere Kleider. Ich wollte mich noch mal für alles entschuldigen, aber Lisa schnitt mir das Wort ab.
»Vergiss es einfach, Marko. Du hast mich über den Fluss gebracht. Ohne dich wäre ich ertrunken.«
Als könnte das alles wiedergutmachen. Natürlich konnte es das nicht. Kein bisschen. Aber weil ich nichts davon erklären konnte, schwieg
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