Wie du Ihr
Messertrick mit den wasserdichten Hüllen, sodass wir kurze Zeit später alle in das gleiche leuchtende Orange eingehüllt waren. Mir war schrecklich warm unter dem Plastikcape, aber das war immer noch besser, als zu frieren. Als Rebecca Lisas Rucksack schultern wollte, stellte sich Jonathan neben sie.
»Gib her. Den nehme ich«, sagte er.
»Ich wusste es«, raunte Lisa mir zu.
»Was denn?«
»Rebecca und Jonathan. Ich wusste, dass es passieren würde.«
»Ah.«
Lisa strahlte überglücklich, als würde damit alles besser. Ich fürchtete, dass es die Sache nur noch komplizierter machte.
Schon nach kurzer Zeit begann ich, ihre Zankereien zu vermissen. An die Stelle von Jonathans ständigen Sticheleien trat nun Stille oder Geflüster, das nicht für unsere Ohren bestimmt war. Irgendwann fiel mir auch wieder ein, warum man Flüssen im Gebirge nicht folgen soll. Weil sie Schluchten in die Berge graben und zwischen steilen Abhängen plötzlich sehr tief werden können. Außerdem fließen sie Wasserfälle hinunter. Kleine, harmlose, wie ich sie während meiner Wache gehört hatte. Aber auch größere, die inmitten zerklüfteter Felswände in pechschwarze Wasserbecken stürzen. Dann wird man notgedrungen nass und rutscht immer wieder aus, während man die schlüpfrigen Steine hinunterklettert. Und riskiert Knochenbrüche, Gehirnerschütterung oder Schlimmeres. Je mehr man sich darauf konzentriert, nicht abzurutschen, desto nasser wird man. Das alles hatte ich mal in einem Survival-Buch gelesen. In dem Buch stand nichts davon, dass es im Dunkeln sogar noch gefährlicher ist. Das lag schließlich auf der Hand.
Unsere Füße rutschten auf den glitschigen Steinen aus. Ständig mussten wir umkehren, weil das Wasser zu tief oder das Ufer zu steil wurde. Wir mussten immer wieder stehen bleiben, um EntScheidungen zu treffen, und als der Regen stärker wurde, begann ich, vor Kälte zu zittern.
Die Hälfte der Zeit krochen wir vom Flussufer ins Gebüsch und wieder zurück. Manchmal mussten wir fast senkrechte Böschungen hochklettern. Da Rebecca und Jonathan plötzlich unzertrennlich waren, blieb mir nichts anderes übrig, als mich gemeinsam mit Lisa durchzuschlagen. Ich gewöhnte mich schnell an ihre Hand, die Hilfe suchend nach meiner griff, und an ihre keuchenden Dankeschöns und Ermunterungen.
Wir kamen nicht besonders gut voran. Anfangs ging es noch, als wir glaubten, dass das breite Tal des Tauherenikau River jeden Moment hinter der nächsten Biegung auftauchen würde. Doch als wir vier Stunden später zwischen Felswänden eingekesselt und vom Regen durchnässt waren, glaubte ich nicht einmal mehr, dass wir auch nur in die richtige Richtung steuerten. Meine Gedanken wurden immer düsterer: Wir würden nie wieder hier rauskommen. Wir verschwendeten den letzten Rest unserer kostbaren Energie. Es war dumm von uns, nachts weiterzugehen. Alles würde in einer Katastrophe enden. Die anderen redeten über mich, wenn ich außer Hörweite war. Bestimmt gaben sie mir die Schuld an Ms Jenkins' Tod.
Ein elendes Gefühl machte sich in mir breit. Ich versank im Selbstmitleid und schleppte mich so langsam weiter, dass die anderen immer länger auf mich warten mussten. Irgendwann platzte Jonathan der Kragen. Immerhin hatte er die ganze Nacht noch keinen fertiggemacht.
»Mensch, Marko. Reiß dich gefälligst zusammen!«
Als Antwort setzte ich mich auf den nächstbesten Felsen.
»Verdammte Scheiße!«, knurrte er.
»Jonathan. So machst du es bestimmt nicht besser«, sagte Rebecca, als könnte ich sie nicht hören oder wäre noch ein kleines Kind.
»Na schön. Was ist los mit dir?«, fragte Jonathan.
»Na, was wohl? Wir haben nichts zu essen. Wir kommen nie hier raus. Sie weiß nicht mal, wo wir sind.«
»Doch. Hat sie doch schon gesagt.«
»Und wieso sind wir dann immer noch nicht an diesem verdammten Fluss?«
»Dann übernimm du doch die Führung, wenn du alles besser weißt.«
»Sag ich ja gar nicht. Ich sage nur, dass wir aufhören sollten, so zu tun, als wäre alles in bester Ordnung. Nichts ist in Ordnung. Wir werden sterben.« Und dann weinte ich. Es war erbärmlich. So erbärmlich, dass ich mich schäme, es hier aufzuschreiben. Aber so war es nun mal. Ich war schwach.
»Pass auf, Marko.« Das war Rebecca mit ihrer Schullehrerstimme. »Wir wissen, wie du dich fühlst. Aber du musst trotzdem weitergehen. Wir haben keine Wahl. Lisa, wie viel Uhr ist es?«
»Fast drei.«
»Noch knapp drei Stunden. Schaffst du
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