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Wie du Ihr

Wie du Ihr

Titel: Wie du Ihr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Beckett
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geschafft haben, meine Identität zu verschleiern, ehe er auf die Idee kam, mich so mit Medikamenten vollzupumpen, dass ich nicht mehr klar denken konnte. Aber wer weiß, vielleicht sind die anderen ja auch ...
    Trotzdem habe ich es nicht vergessen. Nichts habe ich vergessen. Aber allmählich verliere ich die Nerven. Mir fällt es immer schwerer, ruhig zu bleiben und einen vernünftigen Gedanken zu fassen. Ich höre auf zu schreiben und heule vor Angst, wieder allein zu sein. Dieses Mal für immer und ewig. Das Geräusch meiner Stimme macht mir nur noch mehr Angst. Ich habe aufgehört, seine Medikamente zu nehmen. Irgendwie habe ich es geschafft, seine Medikamente nicht mehr zu nehmen. Ich habe eine zweite Chance bekommen. Doch jetzt ist es zu spät. Ich werde sterben.

19
    24. April
    Ich musste sterben. Ich spürte, wie mir die Todesangst in die Knochen kroch. Der Arzt hatte sein Verbrechen fast vollendet. Bald hatte er es geschafft. Doch dann hat er die Nerven verloren. Wahrscheinlich bekam er plötzlich Panik und hat das Warten nicht mehr ausgehalten. Er kam zu mir in den Raum, um nach mir zu sehen. Um etwas zu Ende zu bringen, was von ganz allein zu Ende gegangen wäre.
    Als ich hörte, wie der Schlüssel im Schloss umgedreht wurde, war ich schweißgebadet und so schwach, dass ich im ersten Moment glaubte, ich hätte mir das Geräusch nur eingebildet. Doch dann sah ich, wie sich die Tür langsam öffnete, und nahm meine allerletzte Kraft zusammen. Ich lehnte mit dem Rücken an der Wand und hatte das Notizbuch und das Seil hinter mir versteckt. Regungslos und mit halb geschlossenen Lidern sah ich zu, wie er den Raum betrat. Er machte die Tür zu und verschloss sie. Dann blieb er so weit weg von mir stehen, wie es in dem kleinen Raum nur möglich war, und betrachtete mich forschend. Genau wie ich ihn. Er trug Freizeitkleidung: Jeans und Anorak. Sein Gesicht sah älter aus, als ich es in Erinnerung hatte. Die Haut war bleich und er hatte dunkle Schatten unter den Augen. Es war das erste Mal, dass ich ihn in aller Ruhe ansehen konnte. Ich suchte in seinen Augen nach dem Monster, das in ihm lauerte, doch sein Blick war leer. Ich fragte mich, was er vorhatte, und versuchte zu erahnen, was er als Nächstes tun würde. Einen Moment würde es geben. Meine allerletzte Chance. Ich versuchte, meine letzten Reserven zu mobilisieren und meine Muskeln zum Leben zu erwecken, ohne mich zu bewegen.
    Der Arzt zog eine Spritze aus der Jackentasche.
    »Du kannst mich hören, Marko, nicht wahr?«, sagte er mit sanfter Stimme. So wie Ärzte mit ihren Patienten sprechen. Ich nickte.
    »Es wird überhaupt nicht wehtun. Du wirst einfach einschlafen. Du bist bestimmt sehr müde.«
    Und wenn ich mir die Stimme unter anderen Umständen vorstelle, könnte ich fast glauben, dass er sich auf eine kranke Weise tatsächlich Sorgen um mich machte. Dass er es mir leicht machen wollte. Ich ließ ihn nicht aus den Augen und verfolgte jede seiner Bewegungen. Er hielt die Spritze prüfend vors Licht. Dann trat er einen Schritt nach vorn und ich tat so, als wollte ich zurückweichen, wäre aber schon zu schwach. Meine Hand umklammerte das Ende des Seils hinter meinem Rücken. Meine Chance. Noch war es nicht so weit. Seine Bewegungen waren vorsichtig, als rechnete er jeden Moment mit einem Angriff von mir.
    »Sie brauchen mich nicht umzubringen«, krächzte ich und sah ihm ins Gesicht. In seinem Blick lag plötzlich unendliche Trauer, mit der ich nicht gerechnet hatte. Ich musste mich zwingen, wieder wegzusehen und auf seine Bewegungen zu achten.
    »Ich will dich nicht töten, Marko. Ich wollte, dass du lebst. Ich habe dir das Leben gerettet. Du warst halb tot, als sie dich hierher gebracht haben. Ich habe geholfen, deinen Kreislauf zu stabilisieren.«
    Die Hand mit der Spritze sank kraftlos nach unten, als hätte er es sich plötzlich anders überlegt. Er wollte sich etwas von der Seele reden. Ich würde ihm ein bisschen helfen, sodass seine Aufmerksamkeit nachließ.
    »Aber jetzt wollen Sie mich töten.«
    »Nicht ich, Marko. Sondern die Umstände.«
    Er sagte es, als hätte er die Worte schon oft gesagt. Als hätte er dieses Gespräch schon hundertmal in Gedanken geführt. Ich beobachtete ihn und versuchte, nicht zuzuhören. »Am Ende sterben wir alle daran. Unter anderen Umständen würdest du mich töten. Wenn du unbedingt jemandem die Schuld geben willst, dann gib sie Schwester Margaret. Sie war diejenige, die alles besser wusste. Die entgegen

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