Wie du Ihr
das, was ich hatte ansehen müssen, und dafür, wie ich mich fühlte, wenn ich daran dachte. Ich hasste ihn dafür, dass ich mir nichts sehnlicher wünschte, als etwas getan zu haben. Es war seine Schuld und dafür hasste ich ihn. Und ich hasste ihn dafür, dass ich im Dunkeln seine Hände um meinen Hals gespürt und den Blick in seinen Augen gesehen hatte. Einen Blick, der mir gesagt hatte, dass er mich töten würde, wenn er jemals die Gelegenheit dazu hätte. Aber am meisten hasste ich ihn, weil er mich von meinen Freunden getrennt hatte, die ich in diesem Moment so sehr brauchte. Dafür, dass ich jetzt ganz allein war. Ich brauchte Jonathan und seine spöttischen Bemerkungen und Rebecca mit ihrer knallharten Art. Ich brauchte Lisa und ihr Verständnis. Ich war mutterseelenallein in den Bergen und schmeckte den bitteren Geschmack des Todes in meinem Mund. Dafür hasste ich ihn am allermeisten.
Der Hass rettete mich. Ich hasste ihn so sehr, dass ich es nicht zulassen konnte, dass er gewann. Mein Hass war so groß, dass ich an nichts anderes mehr denken konnte als daran, hier herauszukommen und ihn zu finden und es ihm heimzuzahlen. Tief in mir drin gibt es etwas, das einfach nicht nachgeben kann. Weder in den Bergen noch jetzt, während ich alles aufschreibe. Ich hatte Angst, mich im Dunkeln hoffnungslos zu verlaufen, und beschloss, bis zum nächsten Morgen zu schlafen. Ich machte es mir auf einem Flecken feuchten Mooses so bequem wie möglich und hoffte, dass es nicht regnen würde.
Als ich am nächsten Morgen aufwachte, fühlte ich mich so schwach wie noch nie zuvor. Der Aal war mir nicht gut bekommen und ich musste mich erst einmal ins Gebüsch verziehen. Als ich aufstehen wollte, hatte ich so weiche Knie, dass ich mich kaum auf den Beinen halten konnte. Mir war schwindlig und ich hatte schreckliche Kopf- und Bauchschmerzen. Mein Mund war trocken. Ich wusste, dass ich unbedingt zum Fluss zurückfinden musste. Auf dem Weg nach unten bin ich öfter hingefallen, als ich zählen konnte. Als ich endlich zum Flussufer kam, sank ich auf die Knie und trank wie ein Tier. Ich spritzte mir das kühle Wasser ins Gesicht, um einen klaren Kopf zu bekommen. Dann setzte ich mich an den Rand des kleinen Sees und fasste folgende Beschlüsse: Ich würde an Rebeccas Plan festhalten, zum Kamm hochsteigen und dann zum Waiohine River hinuntergehen. Von dort würde ich dem Fluss bis zu den Feldern und Weiden folgen. Da ich nichts zu essen hatte, wollte ich auf Pausen verzichten. Sie würden nur kostbare Zeit verschwenden. Ich schwor mir, immer weiterzugehen, ganz egal, wie schwach ich mich auch fühlte. Das war alles. Weiter konnte ich nicht denken. Die Gedanken an den Arzt würden mich vorantreiben. Irgendwie würde ich ihn später finden. Ich weiß noch, dass ich sogar froh war, dass die anderen sein Gesicht nicht gesehen hatten. So bestand wenigstens die Chance, dass ich ihn noch vor der Polizei fand.
Ich ging und ging. An das meiste kann ich mich nur noch verschwommen erinnern. Die Bilder sind verzerrt und verflüchtigen sich, wenn ich versuche, die Einzelheiten festzuhalten. Ich ging den ganzen Tag. Ich weiß noch, dass es dunkel wurde. Dann wurde mir schlecht und ich bekam so starke Kopfschmerzen, wie ich sie noch nie im Leben gehabt hatte. Wie im Fiebertraum sah ich das Gesicht des Arztes vor mir. Mein Verstand gaukelte mir die verrücktesten Bilder vor. Aus den Bäumen wurden Wolkenkratzer und ich fand einen kaputten Getränkeautomaten. Dann folgte ich einem Weg, der mit rotem Teppich ausgelegt war. Ich muss ein Riesenglück gehabt haben, dass ich nicht geradewegs in den Tod gelaufen bin.
Irgendwann tauchte dann ein Zaun vor mir auf. Dahinter Kühe auf der Wiese. Und das Letzte, woran ich mich erinnere, ist, dass ich mich vor einen Wassertrog gekniet habe.
Als ich wieder zu mir kam, war ich hier im Krankenhaus. Inzwischen kann ich mir ungefähr vorstellen, wie es gewesen sein muss. Wahrscheinlich hatte ich eine Weile bewusstlos auf der Weide gelegen, ehe mich jemand fand. Ich glaube kaum, dass es purer Zufall war, dass ich ausgerechnet hier bei diesem Arzt gelandet bin. Wahrscheinlich hat er geahnt, dass sie mich hierher bringen würden, falls ich es jemals schaffte, wieder aus den Bergen herauszukommen. Also übernahm er den Notdienst und wartete auf mich. Ich verstehe nicht, warum man mich bei meiner Einlieferung nicht identifiziert hat. Die anderen haben mich bestimmt als vermisst gemeldet. Irgendwie muss er es
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