Wie Du Mir
Treppe hinauf. „Oben rechts ist das Badezimmer, da hab ich was für euch zum Anziehen und Handtücher reingelegt. Eure Sachen werft einfach auf den Boden vor der Tür.“ Ohne eine Antwort abzuwarten, zeigte sie auf eine halb geöffnete Tür. „Wenn ihr fertig seid, kommt runter in die Küche. Es gibt ein ordentliches Frühstück.“
Sie redete, als wären sie zu einem Schüleraustausch bei ihr aufgetaucht. Leute, die sichere Häuser zur Verfügung stellten, mussten echt gut sein im Augenverschließen.
„Ihr werdet am Nachmittag abgeholt, hab ich gehört. Bis dahin sind eure Sachen sauber.“
Rory, ganz der alte Kindskopf, polterte nach oben, nahm zwei Stiegen auf einmal und war schon im Badezimmer verschwunden. Das hieß mindestens eine halbe Stunde Wartezeit.
„Oben im Zimmer gibt es was zum Lesen für dich. Treppe rauf und rechts“, lachte Geraldine und verschwand in der Küche. Noch während Dally auf dem Weg nach oben war, begannen Töpfe zu klappern, und sie begann erstaunlich unmusikalisch im Duett mit Shakin’ Stevens zu krähen.
„You Drive Me Crazy“.
Dally schüttelte den Kopf. Die hatte vielleicht Nerven. Zwei Attentäter im Haus und machte einen auf Schlagerparade.
Den Kopf im Nacken lauschte er dem Prasseln des Wassers, das aus dem Duschkopf auf seine Stirn regnete. Es war so heiß, dass es auf der Haut brannte. Brennen war gut. Brennen lenkte ab.
Beim ersten Mal ist es am schwersten, hatte ihm Chief Doherty vor seinem ersten Attentat prophezeit, danach wird es mit jedem Mal einfacher und effizienter. Dally war inzwischen vom Gegenteil überzeugt.
Ziel Nummer eins hatte er direkt vor dessen Haustür erschossen. Lucky war seine Rückendeckung gewesen, und ihm war bewusst gewesen, dass Lucky verpflichtet war, Chief Doherty danach genau zu berichten, wie Dally seine Aufgabe gelöst hatte. Er war nervös gewesen, vor allem, weil er befürchtete, im entscheidenden Moment zu lange zu zögern.
Nichts dergleichen. Hingehen, abdrücken, zurückziehen. Er hatte sogar eine Art von Triumph gespürt.
In derselben Nacht war er aus einem verworrenen Albtraum aufgewacht, und als er sich im kränklich gelben Licht des Badezimmers im Spiegel betrachtet hatte, waren ihm plötzlich Tränen in die Augen gestiegen, mit einem so hohen Salzgehalt, dass er sie mit Wasser ausspülen musste. Er hatte seine ganze Willenskraft gebraucht, um Marie nicht mit seinem Schluchzen aus ihrem Wachschlaf zu wecken. Seit der Geburt von Ben reagierte sie auf jedes Geräusch.
Lucky hatte Chief Doherty in den höchsten Tönen über Dallys Kaltblütigkeit vorgeschwärmt. Armer Lucky, so wenig Menschenkenntnis. Auch Doherty war zufrieden gewesen, und so war Ziel Nummer zwei gefolgt. Diesmal ohne Euphorie, aber auch ohne Albträume. Er hatte sich sogar eingebildet, dass er nun tatsächlich einer von ihnen war.
Kein halber Protestant, kein Bastard von Spaghettifressern, sondern Freiheitskämpfer. Vorbild der nächsten Generation von Freiwilligen. Einer, der die Beseitigung eines Ziels als das betrachten konnte, was es für Leute wie Chief Doherty war: ein technischer Akt, ein bedauerlicher, aber notwendiger Schritt auf dem Weg zum Ziel des vereinigten Irland.
Ausgerechnet beim nächsten Ziel, laut Liam sogar ein mehrfacher Vergewaltiger, waren die Albträume plötzlich wieder da gewesen. Das Flüstern seines Gewissens. Und dann zu allem Übel noch Florida Drive.
„Mann, wie lange brauchste noch, JR? Die Lady wartet mit dem Frühstück!“
Zum ersten Mal heute war Dally froh darüber, Rorys Stimme zu hören.
Warum dachte er neuerdings ständig nach? Dafür war Dallas Ferguson nie bekannt gewesen, und es machte nur Probleme.
Er wusch sich die Haare und den ganzen Körper, um jede Spur von Cordit loszuwerden, schrubbte so heftig mit dem Schwamm, bis sich seine Haut nach Sonnenbrand anfühlte.
Während der Dampf durch das Badezimmerfenster nach draußen entwich, zog er an, was Geraldine vorbereitet und Rory ihm übrig gelassen hatte.
Zwischen dem großzügigen Waschbecken und der Tür zur Diele stand ein schmaler Spiegel, der fast bis unter die Zimmerdecke reichte. Ein paar Sekunden betrachtete Dally den Mann im Spiegel beim Anziehen. Ein Durchschnittstyp mit überdurchschnittlich dunklen Augen in einer viel zu langen, roten Jogginghose. Sie hob seine wenig beeindruckende Größe – noch so ein Erbe seines sizilianischen Vaters – zusätzlich hervor. Auf seinem T-Shirt hoppelte ein Känguru, durchgestrichen wie auf
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