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Wie Du Mir

Wie Du Mir

Titel: Wie Du Mir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellen Dunne
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zusammengehalten vor allem durch einen Belagerungszustand, der sich seit Beginn der Unruhen 1969 nur unwesentlich geändert hatte. Hier hatte alles angefangen. Hier regierte noch immer das Wort der IRA. Bullen hin, Armee her: Wenn es Probleme mit Kleinkriminellen gab, wurde es der lokalen Kommandoleitung mitgeteilt, und die sorgte dann für Ruhe. Zuerst mit einer Tracht Prügel, wenn das nichts half mit einem Schuss in Knöchel, Handgelenk oder Kniescheibe, ganz nach Wahl; und zu „Unbelehrbaren“ schickte man Leute wie Dally und Lucky.
    Kaum jemand wagte, laut Kritik an dieser Form von Justiz zu äußern. Insgeheim genossen viele ihre überdurchschnittliche Sicherheit vor der Kleinkriminalität einer typischen Stadt. Der Rest hielt den Mund und den Kopf unten, so wie Gregory und Madeleine Ferguson.
    40 Jahre in einer Republikaner-Hochburg leben, ohne Probleme zu kriegen. Unsere Alten sind Schlangenmenschen!, kritisierte Seán den Integrationswahn ihrer Eltern gerne. Sein Vorwurf, sie würden ihre wahre Herkunft verleugnen, jeden Preis zahlen, nur um in der Nachbarschaft akzeptiert zu werden, hatte schon zu Teenager-Zeiten Schreiduelle mit Gregory provoziert. Wie sehr Seán ihn dafür verurteilte, den Namen seiner sizilianischen Eltern sofort nach deren Tod abgelegt und in Ferguson geändert zu haben, und seine Mutter für ihre inbrünstigen Rosenkranzgebete, obwohl sie doch Protestantin war, ließ er sie auch jetzt spüren. Mit Stoßseufzern, süffisanten Bemerkungen, seiner typischen Abwehrhaltung – Oberkörper leicht nach hinten gelehnt, die Arme verschränkt.
    Daran erkannte Dally ihn auch jetzt. Mit gerunzelter Stirn beobachtete er, wie die Ehrengarde Luckys Sarg auf einem Podest abstellte und salutierte. Seine bemerkenswert grünen Augen streiften Dally gerade lang genug, um ihn zu registrieren, dann machte er einen Schritt zur Seite und wandte sich wieder Pfarrer McBride und der Ehrengarde zu.
    Von allen seinen Geschwistern stand Seán ihm am nächsten, allein schon, weil sie regelmäßig miteinander verwechselt wurden. Das änderte jedoch nichts an seinem Wunsch, ihn ebenso regelmäßig an die Wand zu klatschen. Heute Morgen, vier Monate nach ihrer letzten Begegnung, neuer Weltrekord im Instant-Streit:
    Wie siehst ’n du aus? Gibt’s ’nen neuen Hungerstreik? Oder ist das nur dein Aufzug?, hatte Seán Dallys Gewichtsverlust der letzten Wochen noch vor einer Begrüßung kommentiert und seinen Elegant-für-jede-Gelegenheit-Anzug belächelt.
    Dally hatte ihm geraten, sich zu verpissen mit seinem schnöseligen Jackett und der Belfaster Version von Süddubliner Akzent, und Ma hatte händeringend ihrer beider Vernunft beschworen. Dass Seán jetzt zur Seite rückte, um für Dally, Marie und Ben Platz zu machen, war seine Art von Friedensangebot.
    Pfarrer McBride erzählte von Lucky Callahan, der so viel Hoffnung gehabt habe für ein vereinigtes Irland und der ein Opfer der verbrecherischen Zusammenarbeit zwischen Polizei und Loyalisten geworden sei. In Zeiten wie diesen sei es schwer, das Gesetz nicht in die eigene Hand zu nehmen.
    „Ein echter Mann des Herrn“, murmelte Seán vernehmlich. Ihre Schwester Bridie, mit der Figur von Tinkerbell, dem Gesicht von Schneewittchen und dem Mundwerk einer Hexe, hörte auf, an ihrem Kostüm zu fummeln, und nickte zustimmend. Sogar Krankenschwester war sie geworden, um ihren Eltern zu beweisen, dass sie gegen jede Gewaltanwendung war, so wie von ihnen eingebläut. Genauso Kieran. Bald vierfacher Vater und Schreiner von republikanischen Gnaden, war er ganz das Idealbild des ältesten Bruders. Vernünftig, diplomatisch, nie im Konflikt mit dem Gesetz – weder mit dem der Briten noch mit jenem der Provos.
    Nur Aidan, der Nachzügler, hatte Potenzial, es in ähnliche Höhen der „Du-bist-meine-größte-Enttäuschung“-Skala zu schaffen wie Dally. Lustlos stand er neben Bridie und Kieran, zupfte an seinem kurzen, blonden Pferdeschwanz und gab sich alle Mühe, so wenig liebenswert wie möglich zu erscheinen.
    Dally hatte irgendwann aufgehört, seinen jüngsten Bruder verstehen zu wollen. Vielleicht waren es die 15 Jahre Altersunterschied. Ma nannte es immer die „Flegeljahre“. Wahrscheinlich wäre sie weniger nachsichtig, sollte sie jemals von der Marihuana-Pfeife erfahren, die Bridie vor zwei Wochen zwischen seinen T-Shirts entdeckt hatte. Außerdem redete er ständig davon, die Schule zu schmeißen.
    Natürlich hatte sich Aidans neue Freizeitbeschäftigung bereits

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