Wie Du Mir
herumgesprochen. Am ersten Tag des Trainings hatte Gerard Rooney, ein ebenso junger wie abstoßend schmieriger Freiwilliger, der sich ‚der Skorpion‘ nannte, Dally mit beunruhigendem Lächeln nach Aidans Befinden gefragt. Auf Dallys Gegenfrage, was ihn das angehe, hatte er gemeint, dass Aidan sich in schlechte Gesellschaft begeben habe. Ein paar Jungs aus der Gegend, die Drogen konsumierten und womöglich auch dealten und Autos für Spritztouren stahlen.
Diszipliniert euren Welpen gefälligst, hatte Rooney mit seiner abstoßend geschmeidigen Stimme gewarnt, bevor wir’s tun müssen .
Wer ist ‚wir‘? , hatte Dally gefragt, doch als Antwort nur ein noch beunruhigenderes Lächeln erhalten.
Pfarrer McBride beendete seine Predigt, und es wurde still. Die Ehrengarde zückte ihre Pistolen. Einer von ihnen gab Anweisungen auf Gälisch, während sie entsicherten, in die Luft zielten, dreimal abdrückten.
Eine Frau aus der Menge, die Dally nicht kannte, trat nach vorne und begann „The Foggy Dew“ zu intonieren, während die Ehrengarde nochmals salutierte. Viele der Trauergäste fielen mit ein.
Neben Dally schnüffelte es. Marie hielt sich eine zerknüllte Taschentuchblüte unter die Nase. Er legte ihr den Arm um die Schultern und zog sie an sich. Ihren Kopf an seine Schultern gelehnt, begann sie zu weinen, ließ sich von ihm die Tränen abwischen, weinte weiter. Nicht nur um Lucky, glaubte Dally, sondern auch um sie beide und das verkorkste Leben, das sie führten.
Nachdem Luckys Sarg endgültig im Boden verschwunden war, versammelten sich die Fergusons gerade weit genug vom offenen Grab entfernt, um das Scharren von Schaufeln, das Plumpsen von Erde auf Holz nicht hören zu müssen. Erschöpft hängende Schultern, Blicke aus Blei. Seán und Kieran rauchten abwesend. Die Frauen trompeteten in ihre Taschentücher.
Dally dachte an Theresa, als sie ihn umarmt hatte. Irgendwo in der Leere ihres Blicks hatte ein stummer Vorwurf gelauert. Warum hatte er Lucky allein gelassen? Wären sie zu zweit gewesen, hätten die Loyalisten ihre Operation vielleicht abgeblasen. Vielleicht wären sie aber auch Seite an Seite draufgegangen. ‚Vielleicht‘ half jetzt niemandem mehr.
Er sah hinüber zum Nordrand des Friedhofs, mehrere Steinwürfe entfernt.
Die Trauergemeinde hatte sich dort zu einem großen Pulk formiert und stand einer Reihe Bullen in Spezialausrüstung gegenüber. Visier nach unten. Empörte Rufe drangen herüber.
„Hat jemand Aidan gesehen?“, fragte Bridie in die Runde. Sie wurde von ihrem Vater übertönt, der in Richtung des Polizeiwalls schimpfte.
„Ist denen gar nichts heilig? Können die uns nicht mal bei ’ner Beerdigung in Ruhe lassen?“
„Beruhig dich, Greg. Die sind’s nicht wert, dass du ’nen Infarkt bekommst“, sagte Ma, wohl wissend, dass sie das aufbrausende Temperament ihres Mannes damit nie in den Griff bekommen würde.
Eine unabänderliche Dialogzeile im Ferguson’schen Familiendrehbuch. Dally sah Seán die Augen verdrehen.
Jemand tippte ihm von hinten auf den Rücken. Ein Junge in Bens Alter stand hinter ihm. Aufregung verzerrte sein sommersprossiges Gesicht.
„Heißt dein Bruder Aidan?“
Dally nickte. Unwillkürlich sah er sich nach Aidan um, konnte ihn aber nirgends entdecken.
Wie ein Habicht stieß der Finger des Jungen nach vorne, hin zum Unruheherd am Nordrand des Friedhofes.
„Er hat Streit mit ’nem Polizisten angefangen, die wollen ihn jetzt verhaften; die Leute helfen ihm, aber du sollst kommen!“
Der Satz klang, als würde er ein Gedicht auswendig vortragen. Jemand musste ihn gezielt zu Dally geschickt haben. Kein gutes Zeichen.
Als Dally ihn nach seinem Auftraggeber fragen wollte, war der kleine Bote schon wieder im Menschengewühl verschwunden.
Er dachte an Rooney und seine Drohung gegen Aidan, dass man ihn „ disziplinieren “ werde. Aidan, dieser Idiot. Er musste etwas tun, sonst würden ihn sich entweder die Bullen oder Rooney schnappen. Und dabei waren die Bullen noch die bessere Variante.
Er warf einen Blick in die Runde. Niemand schien etwas von seinem Gespräch bemerkt zu haben. Alle reckten die Hälse, um etwas von den Zusammenstößen mitzubekommen.
Alle außer Seán natürlich. Nichts entging seiner entsetzlichen Neugier. Mit gerunzelter Stirn sah er herüber.
„Was ist los?“, formten seine Lippen.
Dally schlüpfte zwischen seinen noch immer diskutierenden Eltern hindurch zu Seán
Weitere Kostenlose Bücher