Wie ein Blütenblatt im Sturm
ratsam gewesen war. Wahrscheinlich war es das einzige, was sie beide gemein hatten.
Rafe brauchte weniger als eine Stunde bis nach Chanteuil. Die Eisentore waren rostig, aber noch recht solide, was auch für die graue Steinmauer, die das Haus umgab, galt. Ein alter Torhüter musterte Rafe zutiefst mißtrauisch, ließ ihn jedoch schließlich durch.
Als er auf das Grundstück ritt, sah Rafe, daß das Schloß tatsächlich von der dramatischen Schönheit war, die Varenne ihnen beschrieben hatte. Die ursprüngliche Festung hatte auf einer felsigen Erhebung gestanden, die in einer Biegung der Seine lag und daher von drei Seiten von Wasser umgeben war. Im Laufe der Jahr-zehnte hatte man verschiedene andere Gebäude unterhalb des turmähnlichen Baus hinzugefügt, doch das Gesamtbild wirkte immer noch sehr bedrohlich und mittelalterlich.
Während er den langen Kiesweg hinauftrabte, musterte Rafe die Umgebung. Das Schloß schien jahrelang vernachlässigt worden zu sein. Die Gärten ähnelten wilden Dschungeln, und die meisten Außengebäude waren in einem erbärmlich baufälligen Zustand. Obwohl Varenne bereits versuchte, Chanteuil zu seiner ursprünglichen Schönheit zurückzuführen, würde es ihn noch Jahre und sehr viel Geld kosten, bis er sein Ziel erreicht hatte.
Rafe zügelte sein Pferd vor dem Haupteingang, als schon ein Diener sein Pferd nahm. Ungeduldig rannte Rafe, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hinauf und hämmerte mit dem massiven Türklopfer heftig gegen das Holz. Er konnte nur beten, daß dieser Besuch ihm etwas nützte.
Nach einer weiteren unverschämten und miß-
trauischen Musterung ließ sich ein alter Butler herab, Rafes Karte dem Herrn des Schlosses zu überbringen.
Wenigstens war Varenne zu Hause! Aber es war langsam auch an der Zeit, daß etwas klappte.
Der Comte de Varenne arbeitete in der dumpfen, modri-gen Atmosphäre alter Bücher in seiner Bibliothek, als ihm die Karte gebracht wurde. Der Anblick entlockte ihm ein Lächeln tiefer Zufriedenheit. Die Götter schienen wirklich auf seiner Seite. Wer hätte sich je erträumen lassen, daß die nächste Fliege direkt ins Spinnen-netz marschierte? Ja, und diese Fliege bedeutete pures Gold. Er wandte sich an den Butler. »Ist der Duke allein?«
»Ja, Milord.«
Varenne warf dem gebückten Schreiber, der ebenfalls in der Bibliothek arbeitete, einen Blick zu. »Grimod, gehen Sie hinauf in die Waffenkammer und holen Sie eine Büchse und Munition.« Dann wandte er sich wieder an den Butler. »Hol Lavisse, warte zehn Minuten und bring Candover dann hinauf.«
*
Die große Halle, in der Rafe wartete, war kalt und zugig, obwohl es immerhin noch Sommer war. Als er eine Maus über die alten Steine huschen sah, versuchte er sich vorzustellen, wie es hier wohl im kalten Winter mit der Feuchtigkeit des Flusses war. Vermutlich verdammt un-gemütlich. Varenne würde alle Hände voll zu tun haben, wenn er diese ungastliche, mittelalterliche Festung be-wohnbar machen wollte.
Endlich kam der alte Butler zurückgeschlurft und bedeutete dem Besucher, ihm zu folgen. Nach einer langen, langsamen Wanderung durch unebene Steinflure und steile Treppen hinauf öffnete der Butler eine Tür und winkte Rafe hindurch. »Die Bibliothek, Milord«, schnarrte er.
Rafe war kaum eingetreten, als harte Metallobjekte gegen seine Seiten gerammt wurden. »Nehmen Sie die Hände hoch, Candover«, sagte eine freundliche Stimme.
»Dies sind Vogelflinten. Bei diesem geringen Abstand könnte ein einziger Schuß Sie in Fetzen reißen.«
Rafe entdeckte nun zwei Männer, die mit den Flinten auf beiden Seiten der Tür gewartet hatten. In dem Wissen, daß es Selbstmord wäre, nach seiner Pistole zu greifen, hob er also langsam die Hände in die Höhe. Was für ein Narr er gewesen war - was für ein dämlicher, verdammter Narr.
Er blieb reglos stehen, während ein Diener ihn durchsuchte und ihm seine Pistole abnahm. »Ich nehme an, man kann behaupten, ich hätte in gewisser Weise Gräfin Janos gefunden«, bemerkte Rafe trocken.
»Das haben Sie«, antwortete der Comte, »und ich versichere Ihnen, daß es ihr recht gut geht. Sie paßt sich bemerkenswert rasch an veränderte Umstände an.« Der Comte bedeutete Rafe, auf einem der Stühle vor dem Tisch Platz zu nehmen. Die Wachen blieben an der Tür stehen, und die Läufe der Waffen waren weiterhin auf Rafe gerichtet.
Varenne fuhr fort. »Ihre kleine betrügerische Gräfin ist wirklich kaum unterzukriegen. Wußten Sie, daß
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