Wie ein Blütenblatt im Sturm
doch Rex, nicht wahr?«
Da die Katze sie nur groß ansah, hielt sie die Sache für erledigt. Maggie schwang die Beine aus dem Bett und stand vorsichtig auf, um eine kurze Inventur zu machen. Abgesehen von dem Schwindelgefühl und einem trockenen Mund fühlte sie sich den Umständen entspre-chend gut. Obwohl ihr Kleid zerknittert war, hatte man sie nicht vergewaltigt, während sie bewußtlos gewesen war. Dies hatte sie am meisten befürchtet.
Sich an einem Bettpfosten festhaltend, musterte sie das spärlich möblierte Zimmer. Vor sehr langer Zeit mußte es hübsch gewesen sein, doch nun waren die Wandbehänge fleckig und die goldenen Bettvorhänge fadenscheinig.
Die Dunkelheit rührte von zugezogenen, gleicherma-
ßen schäbigen Fenstervorhängen her, und Maggie ging hinüber und zog sie auf. Segensreicher Sonnenschein strömte hinein und klärte ihren Geist endgültig. Aus dem Stand der Sonne schloß sie, daß es früher Nachmittag war, also war sie für zwei oder drei Stunden bewußtlos gewesen.
Das Fenster befand sich etwa zweihundert Fuß oberhalb eines Flusses, und als Maggie hinabblickte, wurde ihr wieder schwindlig. Hier gab es kein Entkommen. Offenbar hatte Varenne sie nach Chanteuil, seinem Haus an der Seine, gebracht.
Nun blickte Maggie sich genauer um. Wie erwartet war die schwere Tür verschlossen, und nichts in dem Zimmer hätte sich als Waffe verwenden lassen. Seufzend ließ sie sich wieder auf dem Bett nieder.
Rex kroch augenblicklich auf ihren Schoß, und sein schwerer Körper vibrierte, als sein grollendes Schnurren wieder einsetzte. Sie streichelte seinen Kopf und fühlte sich ein wenig getröstet, obwohl sie sich etwas dumm dabei vorkam. Aber sie hatte Katzen schon immer gemocht, und Rex war ein herrlicher Vertreter seiner Art.
An das Kopfende gelehnt, dachte sie über ihre Lage nach. Varenne war offensichtlich Le Serpent, wenn ihr sein Motiv auch nicht klar war. Sie hätte sich selbst ver-fluchen können, daß sie der Logik statt ihrem Instinkt den Vorzug gegeben hatte. Sie hatte diesem Mann von Anfang an mißtraut, und sie hätte ihn schärfer beobachten müssen.
Dennoch: Es gab einen Silberstreif am Himmel. Wenn Varenne sie entführt hatte, dann war es möglich, daß er dasselbe mit Robin getan hatte. Vielleicht war Robin sogar unter demselben Dach - lebendig und ganz und gar kein Verräter. Der Gedanke munterte sie ein wenig auf.
Da sie und Rafe eine Verabredung mit Roussaye gehabt hatten, dürfte ihr Fehlen bereits zur Kenntnis genommen worden sein. Allerdings - was nützte es ihr?
Niemand würde Varenne verdächtigen, sie verschleppt zu haben. Sie sollte sich wahrscheinlich auf einen langen Aufenthalt einrichten.
Das einzig Spannende in der nächsten Stunde war der Moment, als Rex plötzlich den Kopf hochriß und mit für eine so behäbige Kreatur erstaunlicher Geschwindigkeit durch das Zimmer schoß. Ein Quieken, das abrupt aufhörte, sagte Maggie, daß der Kater sein Mittagessen erwischt hatte. Sie schauderte, als er sich mit dem leblosen, winzigen Körper in der Schnauze niederließ und sich darüber hermachte. Sie konnte der Katze zwar kaum einen Vorwurf daraus machen, ihrer Natur gemäß zu handeln, wurde sich dadurch jedoch bewußt, daß sie selbst eher in der Rolle der Maus steckte.
Die Sonne wanderte stetig, und es war Nachmittag, als ein Klacken im Schloß das Erscheinen des Comte de Varenne ankündigte. Er wurde von einem grobschlächtigen Kerl mit einer Büchse und einem älteren Dienstboten begleitet, der ein Tablett mit abgedeckten Schüsseln auf dem Tischchen abstellte und wieder ging.
Nun, wenigstens wollen sie mich nicht aushungern, dachte Maggie trocken. Noch ein paar Minuten, und Rex’ Maus hätte appetitlich ausgesehen. Als der Comte eintrat, sprang der Kater augenblicklich zu Boden und huschte unters Bett, was bewies, daß er einen gesunden Katzenverstand besaß.
Während die Wache die Büchse auf Maggie richtete, blieb Varenne ein paar Schritte von ihr entfernt stehen.
Seine halbgeöffneten Lider erinnerten Maggie an ein Reptil - vielleicht stammte sein Spitzname daher. »Ich hoffe, Sie sind nicht beleidigt, wenn ich Abstand halte, Miss Ashton«, sagte er so höflich, als wären sie zum Tee verabredet. »Daran können Sie sehen, wie groß mein Respekt vor Ihnen ist.«
Maggie zog die Brauen hoch. »Ich kann mir gar nicht vorstellen, wieso. In dieser Sache habe ich kaum Brillanz bewiesen. Ich verstehe nicht einmal, weshalb ausgerechnet Sie hinter dieser
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