Wie ein Blütenblatt im Sturm
schmalen, vergitterten Fenster sehr weit oben in der Mauer herein. Auch wenn es wenig genug war, reichte es aus, um den blonden Mann zu identifizieren, der auf dem Stroh lag.
Verflucht, das hat mir gerade noch gefehlt. Rafe holte
tief
Luft, bevor er auf die Füße kam. Auch wenn er vermutlich froh sein sollte, daß Robert Anderson lebte und offenbar kein Freund Varennes war, so war Margots Liebhaber doch der letzte Mann auf Erden, den er sich als Zellenge-nossen gewählt hätte.
Anderson machte sich keine Mühe aufzustehen. »Tut mir leid, daß er Sie jetzt auch erwischt hat, Candover. Was ist passiert?«
»Straßenkämpfe, Entführungen, Verschwörung - das Übliche.« Rafe klopfte sich den Staub von seinen Hosen und richtete sich auf. Dann fuhr er fort: »Varenne hat die Gräfin.«
Zornig setzte sich Anderson auf, zuckte aber bei der plötzlichen Bewegung zusammen. »Verflucht, das hatte ich befürchtet. Ist sie in Ordnung, wissen Sie das?«
»Zumindest behauptet Varenne es.« Rafe, der sich endlich an das schwache Licht gewöhnt hatte, sah nun, daß sein Gefährte ziemlich übel zugerichtet war. Ein Arm lag in unnatürlichem Winkel in seinem Schoß, und sein Gesicht war voller Prellungen und Schürfwunden. Plötzlich war seine Eifersucht verschwunden. »Guter Gott, was haben die denn mit Ihnen angestellt, Mann?«
Anderson lächelte freudlos. »Als Anerkennung für meine legendäre Streitbarkeit schickte Varenne mir vier seiner Schergen, um mich einzuladen. Ich lehnte dankend ab, aber sie bestanden darauf.«
Irgend etwas rastete in Rafes Erinnerung ein. »Am Morgen nach Ihrem Verschwinden hat man in der Nähe Ihrer Wohnung zwei Leichen gefunden. Hatten Sie etwas damit zu tun?«
Andersons Lächeln wurde ein wenig echter. »Ich wollte wirklich nur sehr ungern mitgehen.«
Während Rafe den leichten Körperbau und die fast fe-mininen Züge seines Gegenübers musterte, erkannte er, daß er schon wieder einem Irrtum aufgesessen war. Mit einem halben Lächeln sagte er: »Erinnern Sie mich bei Gelegenheit daran, daß ich mit Ihnen keinen Streit möch-te.«
»Ich bezweifle, daß ich im Augenblick einem kranken Spatz gefährlich werden könnte.«
Andersons Blässe wirkte selbst für einen Blondschopf wie ihn extrem, und so ging Rafe zu ihm und hockte sich neben ihm aufs Stroh. »Lassen Sie mich nach Ihrem Arm sehen.«
Er stieß einen leisen Pfiff aus, als er die häßliche Schwellung an Andersons linker Hand und dem Handgelenk sah. Vorsichtig begann er die Verletzung zu untersuchen. »Haben Sie gegen irgend etwas geschlagen?«
»Nein, ich war recht intakt, als ich her kam. Allerdings wollte Varenne mit mir plaudern, ich aber nicht mit ihm.«
Der dünne Schweißfilm auf Andersons Gesicht bewies, wieviel ihn seine aufgesetzte Gelassenheit kostete. Rafes widerwillige Bewunderung für seinen Rivalen wuchs.
»Sieht aus, als wären ein Gelenkknochen und drei Finger gebrochen«, sagte er. »Zum Glück sehen die Brüche glatt aus. Kommen Sie, ich helfe Ihnen, den Mantel auszuziehen, so daß ich die Hand verbinden kann. Das wird Ihnen ein wenig helfen.«
Rafe zog seinen Rock aus und riß ihn in Streifen, dann machte er sich daran, die Erste Hilfe zu leisten, die er auf Jagden gelernt hatte. Doch während er es tat, durchfuhr ihn der Gedanke, daß dieselbe feine, anmutige Hand Margot liebkost hatte. Er erstarrte, bekämpfte seine kranke Eifersucht und mahnte sich heftig, daß jetzt weder Zeit noch Ort für solche Albernheiten war. Nach einem Moment hatte er sich wieder ausreichend in der Gewalt, um weiterzumachen.
Obwohl er sich redlich Mühe gab, die Prozedur so schmerzlos wie möglich zu halten, durchbrach er damit fast die stoische Ruhe des anderen. Als Rafe endlich fertig war und eine Schlinge zur Ruhigstellung des Arms gefertigt hatte, lag Anderson mit schweißverklebtem Haar auf dem Stroh. Der junge Mann schien halb bewußtlos vor Schmerzen.
Nachdem sich seine Atmung ein wenig beruhigt hatte, sagte Anderson: »Da Varenne Maggie nun ohnehin geschnappt hat, hätte ich die verdammte Nachricht auch schreiben können.«
Als Antwort auf Rafes fragenden Blick fuhr er fort:
»Der Comte wollte mich zwingen, Maggie einen Brief zu schreiben, um sie hierher zu locken. Er drohte mir, er wür-de mir die Knochen brechen, bis ich gehorchte. Ich er-wähnte gar nicht erst, daß ich Linkshänder bin, und als er schon drei Finger gebrochen hatte, waren alle Chancen, zu schreiben, dahin. Er hätte sich besser die rechte Hand
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