Wie ein Blütenblatt im Sturm
Roussaye sah die vertrauten Gesichter: Moreau, der seinen Arm bei Waterloo verloren hatte; Chabrier, einer der wenigen Überlebenden des katastrophalen Moskau-Feldzugs; Chamfort, mit dem er in Ägypten die Unterkunft geteilt hatte. Mit sanfterer Stimme fuhr er fort: »Wir können die Wahrheit - und vielleicht eine schöne Lady - in Chanteuil finden, auf dem Besitz des Comte de Varenne. Werdet ihr mit mir kommen?«
Erst zögernd, dann entschlossen standen die Männer nacheinander auf und traten zu Roussaye, um ihm ihre Hilfe anzubieten. Seine Stimme über das Gemurmel er-hebend, rief Roussaye: »Alle, die Pferde und Waffen haben - folgt mir. Zusammen werden wir ein letztes Mal für Frankreich reiten!«
Hélène Sorel war zwei Häuserblocks gerannt, bevor die Erschöpfung und die Vernunft sie zu einem langsame-ren Schritt zwang. Sie war nun sicher, daß Varenne Le Serpent war. Das Fehlen eines eindeutigen Motivs hatte seine Aktivitäten verschleiert. Aber, gütiger Himmel, was sollte sie denn nun tun?
Und während sie noch voll quälender Unentschlos-senheit an der Ecke zur Faubourg St. Germain stand, hörte sie Hufschlag eines galoppierenden Pferdes, das plötzlich neben ihr anhielt. Sie blickte auf und sah Karl von Fehrenbach, der sich vom Pferd schwang.
»Madame Sorel, ich bin sehr froh, Sie zu sehen. Ich habe nachgedacht und …« Plötzlich bemerkte er ihre unglückliche Miene und fragte: »Was ist passiert?«
Die Vernunft sagte Hélène natürlich, daß er in der Nähe wohnte, so daß es kein großer Zufall war, daß er gerade jetzt hier vorbeikam. Doch als sie seine breiten, starken Schultern sah, fiel es ihr schwer, etwas anderes zu glauben, als daß der Himmel ihn geschickt hatte. Der Oberst war ein einflußreicher Mann, und da er bereits wußte, daß sie Informationen beschaffte und weitergab, würde er vielleicht ih-re Geschichte glauben.
Nach einer kurzen Weile, in der sie ihre Gedanken ordnete, quoll die ganze Geschichte aus ihr heraus: die Verschwörung, das Verschwinden der drei Engländer, ihre Erkenntnis, daß Varenne hinter dem Komplott stecken mußte, und ihre Vermutung, daß in Chanteuil alle Antworten zu finden seien.
Der Oberst lauschte, ohne sie zu unterbrechen, und seine hellblauen Augen beobachteten sie dabei aufmerksam. Als Hélène zum Ende ihrer Geschichte kam, schwang er sich wieder auf das Pferd und streckte ihr dann die Hand entgegen. »Es gibt eine preußische Kaserne an der Rue St. Cloud. Dort bekomme ich ein paar Männer, mit denen ich zu Varennes Anwesen reiten kann.«
Als sie noch zögerte, drängte er ungeduldig: »Um Zeit zu sparen, müssen Sie mitkommen und uns den Weg nach Chanteuil zeigen. Wenn Sie recht haben, dürfen wir keine Minute verlieren.«
Hélène nahm seine Hand, und er zog sie mühelos auf das Pferd und setzte sie vor sich. »Aber was, wenn ich mich irre?« fragte sie ängstlich.
»Wenn Sie sich irren, dann haben Sie etwas gutzumachen.« Der ernste Preuße lächelte nicht wirklich, aber das Funkeln in seinen Augen war beinahe schelmisch zu nennen. Zum ersten Mal, seit sie ihn kannte, glaubte sie, daß er wirklich erst vierunddreißig Jahre alt war wie sie.
Hélène wurde sich auf einmal bewußt, wie nah sie seinem schlanken, muskulösen Körper war und welche Wärme der Arm ausstrahlte, der sie festhielt. Einen Augenblick lang verschwand die ernste und erfahrene Witwe, und sie errötete wie ein junges Mädchen.
Dieses Mal lächelte von Fehrenbach tatsächlich. Dann trieb er dem Pferd seine Fersen in die Flanken, und sie galoppierten davon.
Kapitel 23
BWOHL SIE SICH darüber klar waren, wie schlecht O ihre Chancen standen, beschlossen Rafe und Robin, das nächste Mal, wenn jemand die Zelle betrat, einen Ausbruchsversuch zu unternehmen. Nicht lange, nachdem das Mittagessen gebracht worden war, knirschte der Schlüssel im Schloß. Augenblicklich nahmen die beiden die Positionen ein, die sie vorher abgesprochen hatten. Da Robin nicht gerade in bester Verfassung war, um zu kämpfen, räkelte er sich müßig im Stroh herum, während Rafe sich in dem Winkel hinter der Tür verbarg, um sich auf den zu stürzen, der auch immer eintreten mochte.
Die Tür schwang mit einem Quietschen auf, und Rafe machte sich zum Sprung bereit. Dann huschte Margot in die Zelle. »Robin, bist du hier?« flüsterte sie eindringlich.
Rafe konnte gerade noch seinen Absprung bremsen.
Margot hatte ihn nicht einmal gesehen, sondern stob durch die Zelle, sank neben Robin ins Stroh
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