Wie ein Blütenblatt im Sturm
Northwood wieder zu sich kam, stellte er fest, daß er pitschnaß, gefesselt und geknebelt war. Wilder Zorn ließ ihn schnell wieder klar denken. Er zog und zerrte an seinen Fesseln und fluchte dabei lautlos auf diese kleine Schlampe, die ihm dies hier eingebrockt hatte. Er hätte sie sofort vergewaltigen sollen, statt auf ihre Süßholzraspelei hereinzufallen.
Die durchweichten Vorhangkordeln dehnten sich, als er sie belastete. Er fluchte wieder, diesmal aber aus Dankbarkeit, daß er offenbar Glück im Unglück hatte.
Nach zehn Minuten Ringen und Sichwinden war er frei.
Er sprang auf die Füße und durchwühlte seine Taschen. Natürlich waren die Schlüssel fort. Also begann er an die Tür zu hämmern und zu rufen. Wieder hatte er Glück. Ein Diener in der Nähe hörte ihn, und kurz darauf war Northwood aus seinem Gefängnis heraus.
Er hastete zu Varennes Bibliothek und stürmte hinein, ohne anzuklopfen. Der Comte saß immer noch über seinen infernalischen Plänen an seinem Schreibtisch. Er blickte verärgert auf.
»Sie ist abgehauen«, keuchte Northwood. »Die kleine Hure läuft frei im Schloß herum!«
Der Comte musterte den blutverschmierten, aufgelö-
sten Eindringling. »Eine zarte Frau, die nur so halb so groß ist wie Sie? Ich habe Sie offenbar doch überschätzt.«
Northwood errötete vor Ärger. »Kein Grund, ausfal-lend zu werden. Diese kleine Ratte mit dem Engelsge-sicht könnte einen Heiligen durcheinanderbringen. Sie ist gefährlich!«
»Ja, und das auf sehr attraktive Weise«, murmelte Varenne, eher amüsiert als alarmiert. Dann klingelte er nach einem Diener. »Sie kommt nicht weit. Im übrigen -
was kann eine einzige Frau schon ausrichten?«
Northwood wand sich mit Unbehagen. »Sie weiß, was heute nachmittag in der Botschaft passieren wird.«
»Was?! Sie Idiot! Warum haben Sie es ihr gesagt?«
Die Lippen des Comte kräuselten sich vor Abscheu. »Sie brauchen nicht zu antworten. Offenbar wollten Sie angeben. Mein Respekt vor Miss Ashton wächst stündlich.«
In diesem Moment trat ein Lakai ein. »Die Frau ist entkommen«, sagte Varenne zu ihm. »Alle Diener sollen die Suche nach ihr aufnehmen.« Er warf Northwoods blutendem Kopf einen spöttischen Blick zu. »Die Leute sollen Waffen mitnehmen und zu zweit gehen. Sie ist ei-ne kleine, wilde Bestie.«
Sobald der Comte zu Ende gesprochen hatte, begann der Lakai mit eindringlicher Stimme zu reden. »Milord, ich wollte Ihnen gerade mitteilen, daß die Lady die zwei Engländer befreit hat. Sie laufen irgendwo im unteren Bereich frei herum.«
Die Ruhe des Comte war im Handumdrehen verschwunden, und er sprang auf die Füße. »Himmel! Allein war sie vielleicht ein kleines Risiko, aber alle drei zusammen sind eine echte Gefahr. Sag dem Suchtrupp, sie sollen schießen, wenn nötig, obwohl ich es vorziehe, wenn sie mir die drei lebend bringen. Sie dürfen auf keinen Fall Chanteuil verlassen.«
Der Lakai nickte und verschwand. Als Northwood ihm folgen wollte, hielt Varenne ihn auf. »Wo wollen Sie hin?«
»Suchen helfen. Ich will derjenige sein, der sie findet.«
»Ich brauche Sie für etwas anderes«, erwiderte der Comte, der seine Beherrschung wiedergefunden hatte.
»Der untere Teil meines Hauses besteht aus unzähligen Gängen, in denen sich die Gefangenen ewig verstecken können. Das wäre ärgerlich, aber keine Katastrophe. Sie dürfen nur nicht die Stallungen erreichen und Pferde stehlen. Wenn sie das schaffen, könnten sie rechtzeitig in Paris ankommen und meinen Plan zunichte machen.
Deswegen werden Sie und ich in den Ställen warten, bis es zu spät ist, die Explosion noch zu verhindern.«
»Also gut, Hauptsache diese verräterische Schlampe bezahlt für das, was sie getan hat«, knurrte Northwood.
»Keine Angst, das wird sie.« Varenne griff in eine Schublade und holte eine Mahagonikiste heraus, in der sich zwei Duellpistolen befanden. Er lud beide und bot Northwood eine an. »Ich denke doch, Sie wissen damit umzugehen?«
Der Engländer sah die Waffe finster an. »Keine Sorge, ich bin ein Meisterschütze.«
Schon als sie die Treppe hinuntergingen, hörte man in der Ferne das Krachen eines Schusses. Der Comte nickte zufrieden. »Vielleicht ist unsere Wache im Stall ja gar nicht mehr notwendig. Nun, wir können kein Risiko eingehen.«
Bevor sie nach draußen gingen, erteilte der Comte den Befehl, einen Trupp Soldaten versteckt um die Stäl-le zu postieren. Selbst wenn die Briten bis dorthin kamen, weiter würden sie es nicht
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