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Wie ein Blütenblatt im Sturm

Wie ein Blütenblatt im Sturm

Titel: Wie ein Blütenblatt im Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Jo Putney
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    Dieses Bild hatte sich mit übelkeiterregender Klarheit in sein Gedächtnis gebrannt. Er hatte keine Ahnung, wie lange er so verharrte, bis eine Stimme sagte: »Alles in Ordnung, Kumpel? Ich ruf dir eine Kutsche.« Der Barm-herzige half ihm auf die Füße, aber Rafe verweigerte jede weitere Hilfe und stürzte blind davon, als könnte er vor seiner Phantasie davonlaufen.

    Den Rest der Nacht lief er ziellos durch die Straßen von London. Mehr als einmal musterten im Dunkeln lauernde Straßenräuber seine teure Kleidung und wägten sie gegen sein grimmiges Gesicht ab, nur um zu beschließen, ihn doch lieber unbehelligt passieren zu lassen. Der junge Mann mochte ein hübsches Sümmchen wert sein, aber in seinen eisigen, toten grauen Augen drohten jedem Räuber, der dumm genug war, ihn zu überfallen, mit Schreckli-chem.
    Zwangsläufig fand er sich im Morgengrauen vor Margots Haus ein, kurz bevor sie zu ihrem regelmäßigen Ausritt aufbrechen wollte. Sie hatten sich nicht verabredet, aber er hatte sie schon zuvor gelegentlich unangemeldet besucht.
    Sie hatte ihn trotz seines zerknitterten Abendanzugs mit großer Freude begrüßt. Ein smaragdfarbener Schleier schwebte über ihrem weizenblonden Haar, als sie durch den Salon auf ihn zugetanzt kam. Ihre veränderlichen Augen waren an diesem Morgen grün gewesen, und ihr lachendes Gesicht sprühte vor Leben.
    Rafe hatte sich brutal von ihr losgerissen, denn er hatte ihre Berührung nicht ertragen können. Dann hatte er ihr an den Kopf geworfen, was er erfahren hatte. Er kannte ih-re leidenschaftliche Natur, und nur der idealistische Wunsch, sie als Jungfrau in die Ehe zu führen, hatte ihn davon abgehalten, sich vorher zu nehmen, was sie einem anderen so leichtfertig gegeben hatte.
    Und wie viele andere mochte es gegeben haben? Sie war heiß begehrt. War er einfach nur zu dumm gewesen, sich ihre Lüsternheit zunutze zu machen? Hatte sie ihn unter so vielen anderen deswegen gewählt, weil er ein Herzogtum erben würde? Hätte er sie auf ihren Morgen-ritten genauso besteigen können wie sein Pferd, wenn er sie bloß danach gefragt hätte?

    Margot machte keinen Versuch, es abzustreiten. Wenn sie nur das geringste zu ihrer Verteidigung gesagt hätte, er hätte liebend gerne und dankbar danach gegriffen wie nach dem letzten Strohhalm. Hätte sie gebettelt, ihn angefleht, er hätte ihr verziehen, auch wenn er wußte, daß er ihr nie wieder würde ganz vertrauen können.
    Doch sie hatte nur zugehört, und ihr zart cremefarbe-ner Teint war totenbleich geworden. Sie hatte noch nicht einmal nach dem Namen des Mannes gefragt, der ihre Lie-derlichkeit enthüllt hatte - vielleicht hatte es so viele gegeben, daß es unwichtig war. Statt dessen hatte sie nur eiskalt gesagt, daß es ein Glück sei, das wahre Wesen des anderen erkannt zu haben, bevor es zu spät war.
    Ihre Reaktion war wie ein Todesurteil gewesen, denn er hatte die verzweifelte Hoffnung bis dahin nicht aufgege-ben, daß die Geschichte nicht stimmte. Doch in diesem Augenblick war etwas in ihm gestorben.
    Obwohl sie nicht offiziell verlobt waren, hatte er ihr einen Ring, ein Erbstück der Whitbournes, geschenkt, den sie an einer Kette um den Hals trug. Sie hatte ihn hervor-gezerrt und die Kette zerrissen, weil sie sie nicht schnell genug hatte öffnen können. Dann hatte sie ihm den Ring mit solcher Kraft vor die Füße geschleudert, daß der gro-
    ße Opal zersprang.
    Mit einem Murmeln, sie wolle ihr Pferd nicht länger in der kühlen Luft stehen lassen, war sie mit hocherhobenem Kopf und ohne sichtbare Gefühlsregung an ihm vorbei-stolziert. Er hatte sie nie wieder gesehen. Nach wenigen Tagen hatten sie und ihr Vater den gerade vereinbarten Frieden von Amiens ausgenutzt und waren auf den Kontinent gereist.
    Mit den Monaten, die verstrichen, war Rafes Zorn und das Gefühl, verraten worden zu sein, schrittweise durch seine Sehnsucht nach ihr ersetzt worden. Er begann, ungeduldig auf die Rückkehr der Ashtons zu warten, und nach einem Jahr der Qual war er nach Frankreich überge-setzt, um sie zu suchen. Hätte er Erfolg gehabt, hätte er sie angefleht, ihn zu heiraten.
    Dann hatte ihn in Paris die Nachricht erreicht, daß es zu spät war. Er hatte nur noch eines für sie tun können: die sterblichen Überreste nach England zurückzubringen.
    Nach einer gewissen Zeit war es Rafe gelungen, sich selbst zu überzeugen, daß es so viel besser war. Der Gedanke, mit einer Frau verheiratet zu sein, die ihn so hilflos machte, war

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