Wie ein Blütenblatt im Sturm
Castlereagh hatten das Pferd nun erreicht, aber sie waren so in ihre Unterhaltung versunken, daß ihnen das Verhalten des Tieres nicht auffiel. Dann sah Maggie den Stallburschen an, der auf der anderen Seite des Pferdes stand. Es war ein dunkler Mann mit einem zer-narbten Gesicht, der irgend etwas Seltsames an sich hatte.
Während sie noch versuchte, herauszufinden, was an dem Stallburschen nicht stimmte, wieherte das Pferd plötzlich schrill - ein zorniger Laut, der an den Mauern der Gebäude abprallte. Noch ein Wiehern, dann stieg das Tier, riß sich los, steckte den Kopf zwischen die Vorder-beine und trat nach hinten aus.
Rafe und Castlereagh standen zu nah, um auszuweichen, und die wirbelnden, eisenbeschlagenen Hufe trafen den Außenminister mit aller Kraft. Maggie sah entsetzt, wie ihr Mann gegen Rafe geschleudert wurde und beide zu Boden gingen.
Sofort stürmte sie los und schrie gleichzeitig um Hilfe.
Rafe kam stolpernd auf die Füße und packte Castlereagh unter den Armen. Als er versuchte, den Minister aus der Gefahrenzone zu zerren, trat das Pferd erneut zu, und der tödliche Huf traf fast Rafes Kopf. Er konnte sich gerade noch ducken, wurde aber an der Schulter erwischt und verlor das Gleichgewicht. Einen kurzen Augenblick darauf hatte Rafe sich wieder gefangen, packte Castlereagh fester und versuchte erneut, zurückzuweichen.
Maggie fluchte laut, als sie die beiden Männer endlich erreichte. Wo zum Teufel war der Stallbursche hin? Der Mann war verschwunden, als das Pferd außer Kontrolle geraten war. Maggie zerrte ihren Straußenfederschmuck aus dem Haar und wedelte damit vor dem durchgedreh-ten Hengst hin und her, um ihn von Rafe und Castlereagh fortzutreiben.
Wieder wieherte das Pferd schrill und rollte die Augen. Von seinem Maul tropften Schaumflocken. Maggie ließ sich nicht beirren und schwenkte weiter ihren Kopfschmuck. Endlich wich das Tier langsam zurück, während laute aufgeregte Rufe aus der Botschaft herüber-drangen.
Dann wirbelte das Tier plötzlich herum und galoppierte donnernd über den Hof. Ein junger rothaariger Stallbursche stürmte aus dem Stall und versuchte, das durch-gegangene Tier in eine Ecke zu drängen.
Maggie schleuderte ihren Kopfschmuck fort und drehte sich zu Rafe um, der neben dem Außenminister knie-te.
»Wie geht es ihm?« fragte sie atemlos und ließ sich ebenfalls auf die Knie fallen. Castlereagh war bewußtlos, an seiner Schläfe war eine blutende Wunde, aber er atmete.
»Ich weiß es nicht«, antwortete Rafe grimmig. »Der erste Tritt hat ihn voll in die Rippen getroffen, der zweite hat seinen Schädel gestreift.« Während er sprach, untersuchte er rasch und geschickt die Blessuren.
Leute strömten aus der Botschaft, die totenbleiche Lady Castlereagh eingeschlossen. Rafe übernahm das Kommando, rief nach einer Trage und schickte einen Lakaien los, einen Arzt zu holen.
Maggie erhob sich und legte Emily einen Arm um die Schultern. »Ein böser Unfall, aber ich bin ganz sicher, daß er sich schnell wieder erholt.«
Obwohl Lady Castlereagh nickte, stand in ihren Augen das reine Entsetzen. Zwei Lakaien kamen mit einer eilig improvisierten Trage zurück. Sie hoben den Minister vorsichtig hinauf und trugen ihn in die Botschaft.
Seine Frau folgte, und Maggie begleitete sie, um ihr ein bißchen Trost spenden zu können, während sie auf den Arzt warteten.
Rafe wandte sich um und betrat den Stall. Der rothaarige Stallbursche hatte den Hengst eingefangen und ihn in eine Box gebracht. Das Pferd, noch mit Sattel und Zaum, tänzelte immer noch wild herum, während der Junge vor der Box ungeduldig wartete.
»Ich bin Candover«, sagte Rafe. »War das Pferd immer schon so unberechenbar?«
Der Junge warf ihm einen besorgten Blick zu. Wie alle in der Botschaft, war er Brite und antwortete nun in dem breiten Akzent Westenglands. »Nay, Eure Hoheit. Samson hat Feuer, aber es gibt kein ausgeglicheneres Tier als er. Ist Seine Lordschaft doll verletzt?«
»Das wissen wir erst, wenn der Arzt ihn untersucht hat, aber ich denke, er wird sich wieder erholen.«
»Werden se … werden se Samson totmachen?«
»Ich weiß nicht.« Nun sah Rafe, daß in dem Schaum vor dem Maul des Pferdes Blut war. Er schwang die Boxentür auf und trat ein, um sich ruhig dem Pferd zu nä-
hern. »Ich sehe ihn mir mal näher an.«
Rafe rief sich all das überlieferte Wissen der Zigeuner, das sein Freund Nicholas ihm beigebracht hatte, in Erinnerung, und zwang sich innerlich und äußerlich zu
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