Wie ein Blütenblatt im Sturm
bin oder was meine Motive sind? Sie sind ein Narr.« Die seltsame Stimme zischte wie ein scharfer Wind über Eis. Mit einem Hauch kalten Humors fuhr er fort: »Freuen Sie sich, mon Anglais, daß mein nächster Plan weniger Zufallsmomente beinhaltet.
Ab morgen werden die wichtigen diplomatischen Sitzungen in Castlereaghs Schlafzimmer abgehalten. Daher brauche ich den vollständigen Grundriß der Botschaft.
Jedes Zimmer, jeden Flur, jedes Kämmerchen mit exak-ten Maßen. Plus Informationen über die Dienerschaft und ihre Aufgaben.«
»Ist das alles?« fragte der Engländer mit kaum ver-schleiertem Sarkasmus.
Le Serpent ignorierte es und nahm die Frage ernst.
»Ich will ebenfalls wissen, wer jeweils bei den Sitzungen anwesend ist. Ich muß es ganz genau wissen, und zwar am Abend zuvor.« Er stand auf. »Und Sie werden es mir sagen, mon petit Anglais. Jeden Abend. Ohne Ausnahme.«
Der Engländer nickte widerstrebend. Er steckte schon zu tief in der Sache, um sich herauszuwinden. Aber er brauchte Zeit - Zeit, dem Wappen auf die Spur zu kommen und jeden Verdacht von sich abzulenken. Er beschloß, eine Information anzubieten, die er bisher zu-rückgehalten hatte.
»Haben Sie schon von Gräfin Janos gehört, die das Pferd des Lords weggelockt hat, bevor der Plan ausgeführt war?«
»Ja. Schade, daß sie und ihr Liebhaber dort waren, aber man kann nicht alles vorhersehen.« Le Serpent zuckte leicht die Schultern, wie um zu sagen, daß kleinere Hindernisse ihn niemals aufhalten würden. »Eine ziemlich schöne Frau. Es gibt nichts Besseres, als eine Ungarin im Bett.«
»Sie ist keine Ungarin«, sagte der Engländer. »Sie ist eine Engländerin namens Margot Ashton. Eine Hochstap-lerin, eine Hure und eine Spionin.«
»Tatsächlich?« Die gehauchte Stimme enthielt eine Drohung, die sich aber nicht gegen den Besucher richtete.
»Sie machen mich neugierig, mon Anglais. Sagen Sie mir, was Sie über diese Frau wissen. Wenn sie für die Briten arbeitet, könnte es nötig sein, sich um sie zu kümmern.«
So berichtete der Engländer alles, was er über Magda, Gräfin Janos, die einst als Margot Ashton bekannt gewesen war, wußte. Es war eine Schande, wenn eine reizende Lady geopfert werden mußte, aber die eigenen Interessen kamen eben an erster Stelle.
Kapitel 12
M NÄCHSTEN MORGEN begleitete Hélène Sorel A Maggie zu Madame Daudet, die eine Liste aller französischen Familienwappen zusammengestellt hatte, in denen es Schlangen gab. Nach der obligatorischen halben Stunde über den Teetassen bekamen die Gäste die Liste in die Hand, mit einer Schrift beschrieben, so zierlich wie die alte Dame selbst. Um die Aufstellung genau zu studieren, durften sie die Bibliothek benutzen.
Die beiden Frauen schlugen die Namen in massiven, goldgeprägten Bänden nach, die handkolorierte Stiche von heraldischen Sinnbildern und Familienwappen ent-hielten. Sie übertrugen die vielversprechendsten Wappen auf durchscheinendes Pergamentpapier, das Maggie mitgebracht hatte. Sie hatten Drachen und alle mittelalterlichen Kreaturen von zweifelhafter Abstammung zu-rückgestellt und beschränkten ihre Nachforschung auf das, was deutlich schlangenartig war, dreiköpfige Hy-dren wie die im d’Auguste-Wappen eingeschlossen.
Sie brauchten vier Stunden, um alles durchzugehen, und dann waren sie erschöpft und ein wenig schläfrig von der stickigen Luft. Gerade als sie gehen wollten, entdeckte Hélène ein Buch über die preußische Aristokratie.
Als sie zu »von Fehrenbach« blätterte, wurde die Französin so still, daß Maggie ihr über die Schulter blickte. Was sie sah, ließ augenblicklich alle Alarmglok-ken schrillen: Im Fehrenbach-Wappen war ein Löwe, der ein Schwert hielt, um dessen Schaft sich eine Schlange wand.
Ohne Gefühlsregung übersetzte Hélène das lateini-sche Motto. »Die Klugheit einer Schlange, der Mut eines Löwen.«
Maggie war erschüttert. »Von allen Verdächtigen hät-te ich von Fehrenbach am wenigsten in Betracht gezogen.«
»Dies hier beweist nichts«, erwiderte Hélène mit einer merkwürdigen Stimme. »Wir haben ein Dutzend ähnlicher Wappen kopiert.«
»Aber keines davon gehört zu einem unserer Verdächtigen.« Maggie hielt inne, dann fragte sie: »Hélène, ich habe dich schon einmal gefragt, und ich tue es wieder.
Ist irgend etwas zwischen dir und von Fehrenbach?«
Hélène ließ sich wieder in einen der Ledersessel fallen, ohne Maggies Blick zu begegnen. »Es gibt nichts au-
ßer … einer
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