Wie ein boser Traum
Blick über den Friedhof schweifen – und wieder sah sie Clint Austin. Unglaublich, dass sie alle an einem Ort wie diesem standen. Austin schien nichts um sich herum wahrzunehmen, aber das konnte nicht sein.
»Er wird mit gar nichts durchkommen«, sagte sie laut. Das war ein Versprechen. Und bis zu dem Tag, an dem sie dieses Versprechen einlösen konnte, würde ihre Gegenwart ihn daran erinnern, dass er hier nicht willkommen war … dass er ein Mörder war.
»Du hast Recht«, stimmte Troy zu. »Er wird mit gar nichts durchkommen; ich werde nämlich alles Nötige tun, um das zu verhindern.«
Emily hatte Troy nicht oft nach der Gerichtsverhandlung getroffen, aber sie spürte, dass er ebenso entschlossen war wie sie.
»Wenn wir ihn genau genug beobachten«, schlug sie vor und fragte sich, ob Troy wohl einen ähnlichen Plan verfolgte, »wird er einen Fehler machen. Wir müssen ihn nur dabei ertappen. Ich kenne zwar noch nicht alle seine Bewährungsauflagen, aber ich weiß, dass Austin noch nie gern Vorschriften befolgt hat. Er wird über die Stränge schlagen.«
»Mag sein«, räumte Troy ein und dachte kurz nach, ehe er weiterredete, »aber ich persönlich bezweifle, dass er lange genug lebt, um Fehler zu machen.«
Der blanke Hass in Troys Tonfall ließ es Emily kalt den Rücken hinunterlaufen. Sie konnte zwar nicht bestreiten, dass sie gelegentlich auch daran gedacht hatte, Austin umzubringen. Das hatte sie tatsächlich. Aber ein Teil in ihr hatte immer erkannt, dass das unmoralisch war.
Irgendwie spürte sie, dass Troy ein anderes Verständnis hatte. Aber sie reagierte wohl zu stark. Sie kannte Troy Baker schon ihr Leben lang. Sosehr er seine Schwester liebte, ein Mörder war er nicht.
Als sie aus dem Augenwinkel heraus etwas wahrnahm, wurde sie erneut auf Austin aufmerksam. Endlich ging er.
»Am besten, ich gehe jetzt«, sagte sie, auch wenn es ihr widerstrebte. Hoffentlich tat er nichts Übereiltes. Ihr Wunsch, Austin im Auge zu behalten, trug den Sieg davon.
Troy fasste sie am Arm, als sie gehen wollte. »Bleib, Emily. Bleib doch und sprich mit mir. Lass uns noch ein wenig bei Heather bleiben.«
Sie wollte widersprechen, als er sie mit sich zog. »Mach dir keine Sorgen wegen Austin. Er wird heute Abend nichts anstellen. Glaub mir.«
County Road 18
18.45 Uhr
Die Sonne versank hinter den Baumwipfeln, während Clint die letzten Meilen nach Hause fuhr. Er hatte die Rückkehr dorthin hinausgezögert, so lange er konnte.
Er war verdammt erschöpft. Der Tag war ungeheuer anstrengend gewesen.
Der Besuch beim Bewährungshelfer war erwartungsgemäß verlaufen. Lee Brady hatte die Regeln aufgestellt und ihm die Folgen klargemacht, falls er sich nicht daran hielt. So wie die meisten Leute in der Stadt, war auch Brady mit Clints Entlassung nicht einverstanden und
sagte, sie sei nicht notwendig gewesen. Clint hatte Bradys Ablehnung gespürt.
Wegen der Protestaktion vor dem Rathaus war es schwierig gewesen, das Gebäude zu verlassen. Dreißig Menschen, deren Erregung durch Troy Baker und Keith Turner noch aufgepeitscht war, hatten sich versammelt, um ihre Meinung kundzutun. So wie Clint hatte auch Ray gesagt, dass es ihn einen Dreck kümmere, was die Leute dachten. Sie hätten das Recht, zu tun und zu sagen, was sie wollten. Das ändere für ihn jedoch rein gar nichts. Sie müssten sich halt nur damit abfinden, dass Clint hier wäre, denn der habe nicht die Absicht, irgendwo anders hinzuziehen.
Nichts davon hatte Clint wirklich gestört – bis er sie gesehen hatte. Sie hatte sich den Demonstranten anschließen wollen. Er hatte nicht damit gerechnet, ihr von Angesicht zu Angesicht zu begegnen. Vielmehr hatte er vermutet, dass sie ihm aus dem Wege gehen würde, indem sie sich weiter in der Menschenmenge aufhielt. Doch er hatte sie heute zweimal gesehen, beide Male mit kaum mehr als einem schmalen Streifen Asphalt oder Gras zwischen ihnen.
Emily war ihm gefolgt und hatte ihn dann auf dem Friedhof beobachtet. Dann war Troy Baker dazugekommen. Clint war sich bewusst gewesen, dass Troy oder einer seiner Kumpels den ganzen Nachmittag in der Nähe waren. Nach allem, was er durchgemacht hatte, war es kein Wunder, dass er zusammenschrak, als Troy sie umarmte. Am liebsten hätte er sich selbst einen Tritt versetzt. Apropos angenervt sein.
Er hatte Emily angeschaut, als sie ihn gerade nicht beobachtete. Sie hatte sich überhaupt nicht verändert. Sie
trug ihr dunkelbraunes Haar immer noch lang. Rock und
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