Wie ein boser Traum
werden musste.
James studierte Medizin, hatte Aussicht auf eine Professur.
James hatte sein Leben nicht vorzeitig zerstört. Schade nur, dass es ihren Eltern nicht genügte, wenn er Erfolg hatte.
Emily ging in ihr Zimmer und schloss die Tür, lehnte sich dagegen und betrachtete den Raum, den sie kaum wiedererkannte. Er kam ihr eher wie ein Hotelzimmer vor. Während des letzten Schuljahrs hatte sie in diesem Zimmer gewohnt, aber sie spürte einfach keine Verbindung mehr … nichts.
Ihre Mutter hatte sich große Mühe gegeben, das neue Haus zu einem Zuhause zu machen – dieses neue Zimmer zu Emilys Zimmer zu machen. Einige von ihren Sachen waren sorgsam auf Regalen oder Möbelstücken arrangiert. Trophäen aus ihrer Zeit als Cheerleader. Ein hübsch gerahmtes Foto von Bon Jovi, ein anderes von Mel Gibson. Kram. Krempel. Nichts, was wichtig war. Die wichtigen Dinge waren versteckt worden. Alle Erinnerungen an die Vergangenheit wegpacken, das war die Vorstellung ihrer Mutter von Weitermachen. Leider hatte nichts Neues die Leere gefüllt. Keine gerahmten Zeugnisse und Diplome, mit denen man vor Freunden und Bekannten hätte angeben können. Keine Hochzeitsfotos oder Schnappschüsse von Enkeln, die man den Besuchern stolzerfüllt hätte zeigen können.
Nur ein Zimmer. Mit beigefarbenem Teppichboden. Und beigefarbenen Wänden.
Nichts, was herausragte, ihren Raum oder sie definierte. Sie selbst war beige – fast unsichtbar.
Die gefürchtete Panik kroch ihr unter die Haut. Ihr Herz schlug schneller, wechselte in einen schnelleren Rhythmus.
Gleich würde dieses Gefühl des Untergangs sie überwältigen,
und dann würde es kein Halten mehr geben, bis sie eine ausgewachsene Panikattacke bekäme. Die erste hatte sie ein halbes Jahr nach dem Mord erlebt. Sie hatte viele verschiedene angstlindernde Medikamente eingenommen, bis sie die nutzlosen Bemühungen und die Abhängigkeit leid war und die Medikamente abgesetzt hatte.
Sie konnte einfach nicht in diesem Zimmer bleiben.
Die Tasche und die Schlüssel lagen schon in ihrer Hand, bevor sie es sich anders überlegen konnte. Ein wenig in der Gegend herumzufahren würde helfen. Gäbe ihr die Gelegenheit, nachzudenken, ohne Einmischungen oder Streit, ganz egal, wie wohlmeinend. Ihre Mutter telefonierte immer noch mit dem Bruder. Ihr Vater hatte sich mit der Tageszeitung in seinen Sessel zurückgezogen.
Sie würden nicht einmal merken, dass sie aus dem Haus gegangen war.
Draußen war es schwülheiß, typisch für Juli, obwohl es schon abends nach sieben war. Emily riss die Wagentür auf und ließ sich hinters Lenkrad fallen. Sie schloss die Augen, lehnte den Kopf zurück und bemühte sich, ihre Atmung zu kontrollieren, das Herzrasen zu besänftigen.
Als sie wieder normal atmete, schlug sie die Augen auf und betrachtete die Straße, in der ihre Eltern lebten – in einem Haus, das nie ihr Zuhause gewesen war. Das Haus an der Ivy Lane hatten sie unmittelbar nach Heathers Tod verkauft. Kein Haus war ihr seither mehr wie ihr Zuhause vorgekommen. Ein Gefühl des Bedauerns umschloss immer enger Emilys Brust und löste einen weiteren Adrenalinstoß aus.
Hau einfach ab. Sie schob den Schlüssel in die Zündung und startete den Motor, dann bog sie ohne besonderes Ziel auf die Straße. In Pine Bluff wurden die Bürgersteige schon vor Einbruch der Dunkelheit hochgeklappt. Nur ein paar Fast-Food-Restaurants hatten noch geöffnet. Das Neonschild von Sack & Go erinnerte die Passanten an die Dutzende Biermarken, die dort beinahe rund um die Uhr erhältlich waren.
Emily fuhr an einer Reihe von Neubauten in einem der besseren Wohnviertel am Stadtrand vorbei. Vor zehn Jahren war diese Gegend noch ein Acker gewesen. Als Kind noch war sie überzeugt gewesen, dass das wahre Leben nur innerhalb der Stadtgrenze von Pine Bluff existierte. Dahinter hatte es nur zwei Dinge gegeben: Baumwollfelder und ausgedehnte Weiden, auf denen die Rinder unter der Alabama-Sonne dösten.
Pine Bluff lag inmitten der Berge und Seen von Nord-Alabama. Ein Ort, der Traditionen pflegte und dessen Bürger unkontrolliertes städtisches Wachstum und Großstadt-Probleme mieden.
Bis eines dieser hier undenkbaren Probleme den Weg in Emilys Heimatstadt gefunden hatte.
Fahr; denk nicht. Atme, langsam und tief.
Die Baumwollfelder beiderseits der Straße wichen Maisfeldern, von denen einige bereits geerntet waren. Die Veränderung weckte ein vages Gefühl des Wiedererkennens in Emily.
County Road 18 .
An der Abzweigung,
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