Wie ein boser Traum
Bluse waren zwar ein bisschen konservativ, aber sie war so hübsch wie immer, dünner vielleicht. Jammerschade, dass sie das reine Gift für ihn gewesen war. Sie hatte sein Leben im Alleingang zerstört. Wenn sie ihm weiter auf den Fersen blieb, sollte er sie vielleicht mal zu sich einladen und ihr ein paar seiner Knasterlebnisse schildern. Dann würde sie ihre Meinung, ob er bekommen hatte, was er verdiente, blitzartig ändern.
Oder auch nicht.
Jedenfalls musste er aufpassen, was er tat, sonst verpfiff Miss Emily Wallace ihn noch an Brady. Vermutlich war sie nicht ganz ohne Grund am selben Tage hier in Pine Bluff aufgekreuzt. Ray hatte erwähnt, dass sie vor Jahren fortgezogen und selten zurückgekommen sei. Angesichts ihres offensichtlichen Plans sollte er sich eigentlich nicht zu ihr hingezogen fühlen. Aber wenn man bedachte, dass er seit mehr als zehn Jahren nicht mehr mit einer Frau geschlafen hatte, dann war das doch nicht so schlimm. Trotzdem, sie war sein Feind, das durfte er niemals vergessen.
Er sah wieder in den Rückspiegel. Merkwürdig, dass sie ihm vom Friedhof aus nicht gefolgt war, aber sie hatte sich ja so angeregt mit Baker unterhalten. Vielleicht planten die beiden die nächste Phase ihrer Überwachungsstrategie.
Na, er hatte auch Pläne. Pläne, die nicht nur Emily Wallace einschlossen, sondern auch den Sohn seines früheren Chefs, Sid Fairgate. Der Mann, der Clint eingestellt hatte, um jenen Auftrag damals auszuführen, war tot, aber der Sohn kannte die Geheimnisse, die der Vater mit ins Grab genommen hatte. Dessen war Clint sich
sicher. Ebenso, dass Emily sich, wenn man ihr nur den richtigen Anstoß gab, mit ein wenig mehr Klarheit an jene Nacht erinnern würde. Dafür musste er eine Reaktion hervorrufen, die die ganze verdammte Stadt in den Grundfesten erschütterte.
Eine Bewegung im Rückspiegel ließ ihn aufmerken. Ein Pick-up, ein älterer Chevy, überquerte, viel zu schnell, die Anhöhe hinter ihm. Clint lenkte etwas weiter nach rechts, um dem Fahrer Platz zum Überholen zu lassen. Aber der überholte gar nicht. Sondern fuhr extrem dicht auf.
»Was zum Teufel?« Er wappnete sich gerade noch rechtzeitig gegen den Aufprall.
Der Pick-up touchierte seine hintere Stoßstange.
Er packte das Lenkrad fester und gab Vollgas, um ein wenig von dem Verfolger wegzukommen. Aber der beschleunigte ebenfalls, touchierte ihn erneut, ehe er wieder Gas geben konnte.
Er überquerte die nächste Anhöhe. Wegen eines langsam fahrenden Fahrzeugs vor ihm musste er scharf bremsen. Der Pick-up hielt die Geschwindigkeit.
Durch eine jähe Lenkbewegung nach rechts vermied er den Unfall und fuhr holpernd über einen flachen Graben in ein Kornfeld, wobei er eine breite Schneise von genickten Halmen hinterließ.
Er drehte das Lenkrad nach links und trat fest auf die Bremse.
Ruckelnd kam der Firebird zum Stehen.
5
212 Cedar Street
19.10 Uhr
»Wie lange willst du eigentlich bei uns bleiben, Schatz?«
Emily schob die Erbsen auf ihrem Teller herum und überlegte, wie sie die Frage ihres Vaters am besten beantwortete. Kaum war sie verspätet zum Abendessen heimgekommen, hatte sich Schweigen im Esszimmer der Familie ausgebreitet. Seitdem hatte sie diesen Augenblick kommen sehen.
Ungeachtet seines freundlichen Tonfalls hatte ihr Vater seine ernsthaft besorgte Miene aufgesetzt.
Seit ihrem Nervenzusammenbruch hatten ihre Eltern wechselnde »Sicherheitsstufen« im Umgang mit ihr eingerichtet; in diesen behandelten sie Emily neugierig nachsichtig, überraschend erleichtert, ernsthaft besorgt oder tief beunruhigt. Heute Abend war anscheinend ernsthaft besorgt an der Reihe.
»Ungefähr eine Woche. Ich hab mich noch nicht entschieden.« Emily schob sich eine Gabel voll Kartoffeln in den Mund; sie wollte sich nicht weiter einlassen. Sie hatte ihren Arbeitgeber um zwei Wochen Urlaub gebeten, aber sie würde so lange bleiben wie nötig. Dass sie eine erwachsene Frau war und eigene Entscheidungen treffen konnte, schien für ihre Eltern ohne Belang zu sein.
Nicht einmal Stevie Wonder wäre der Blick entgangen, den sie jetzt miteinander wechselten. Sie waren noch lange nicht fertig.
Edward Wallace legte die Gabel beiseite und blickte aus seinen braunen Augen teilnahmsvoll über den Tisch hinweg, die gleichen braunen Augen, die Emily jeden Morgen aus dem Badezimmerspiegel entgegenschauten. Aber nicht mit deren Leere.
»Du kannst so lange bleiben, wie du willst, Emily.«
Gleich würde ein Aber kommen und dann das
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