Wie ein einziger Tag
und Jugend bedeutet haben. Einer nach dem anderen erzählte von Dingen, die ich schon lange vergessen hatte. Und am Ende weinte ich, weil ich die Früchte unserer Erziehung sah. Ich war so stolz auf unsere Kinder, so stolz auf Dich und glücklich über unser Leben. Und nichts kann mir das nehmen. Nichts. Ich wünschte nur, Du wärest dabei gewesen.
Als die Kinder gegangen waren, saß ich versonnen in meinem Schaukelstuhl und dachte an unser gemeinsames Leben. Du bist hier immer bei mir, jedenfalls in meinem Herzen, und ich kann mich an keine Zeit erinnern, in der Du nicht ein Teil von mir warst. Ich weiß nicht, was aus mir geworden wäre, wenn Du an jenem Tag nicht zu mir zurückgekehrt wärest, aber ich bin sicher, daß ich mein Lebtag nicht glücklich geworden wäre.
Ich liebe Dich, Allie. Nur durch Dich bin ich der geworden, der ich bin. Du bist alles für mich, jeder Traum, jede Hoffnung, und was immer auch die Zukunft bringen mag, eines ist klar -jeder Tag mit Dir ist der schönste Tag meines Lebens. Ich gehöre Dir für immer.
Und Du, meine Geliebte, wirst für immer zu mir gehören.
Noah Ich lege die Blätter beiseite und erinnere mich, wie ich neben Allie auf unserer Veranda saß, als sie diesen Brief zum ersten Mal las. Es war spät am Nachmittag, rote Streifen durchschnitten den Sommerhimmel, und das Tageslicht verblaßte. Der Himmel wechselte langsam die Farbe, und als ich die Sonne untergehen sah, dachte ich über diesen kurzen schimmernden Augenblick nach, wenn der Tag zur Nacht wird.
Die Dämmerung, so grübelte ich, ist nur eine Illusion, weil die Sonne einmal über, einmal unter dem Horizont ist. Und das bedeutet, daß Tag und Nacht auf ungewöhnliche Weise miteinander verbunden sind; keiner kann ohne den anderen existieren, und doch kann es sie nicht zur gleichen Zeit geben. Wie mochte es sein, so fragte ich mich, stets zusammen und doch für immer getrennt zu sein?
Rückblickend finde ich, es entbehre nicht einer gewissen Ironie, daß sie den Brief gerade in dem Augenblick las, als mir diese Frage in den Sinn kam. Und die Ironie besteht natürlich darin, daß ich die Antwort heute kenne. Ich weiß, was es bedeutet, Tag und Nacht zu sein, stets zusammen und doch für immer getrennt.
Schönheit umgibt uns hier, wo wir, Allie und ich, heute nachmittag sitzen. Dies ist der Höhepunkt meines Lebens. Sie sind hier am Fluß; die Vögel, die Gänse, meine Freunde. Sie gleiten auf dem kühlen Wasser, das ihre Farben widerspiegelt und sie größer erscheinen läßt, als sie wirklich sind. Auch Allie ist hingerissen von ihrem Zauber, und nach und nach kommen wir uns wieder näher.
»Es tut gut, mit dir zu reden. Es fehlt mir, selbst wenn es noch nicht so lange her ist.«
Ich bin aufrichtig, und sie weiß das, aber sie ist immer noch vorsichtig. Ich bin ein Fremder.
»Tun wir das oft?« will sie wissen. »Sitzen wir öfter hier und sehen den Vögeln zu? Ich meine, kennen wir uns gut?«
»Ja und nein. Ich glaube, jeder hat Geheimnisse, aber wir sind seit Jahren miteinander bekannt.«
Sie betrachtet ihre Hände, dann die meinen. Dann denkt sie eine Weile darüber nach, den Kopf so zur Seite gelegt, daß sie wieder jung aussieht. Unsere Eheringe tragen wir nicht. Auch dafür gibt es einen Grund. Sie fragt:
»Warst du je verheiratet?«
Ich nicke.
»Ja«
»Wie war sie?«
Ich spreche die Wahrheit.
»Sie war mein Traum. Sie machte mich zu dem, der ich bin. Sie in meinen Armen zu halten war mir vertrauter als mein eigener Herzschlag. Ich denke unentwegt an sie. Selbst jetzt, wo ich hier sitze, denke ich an sie. Nie hätte es eine andere geben können.«
Sie nimmt meine Worte auf. Was sie dabei empfindet, weiß ich nicht. Schließlich spricht sie mit sanfter Stimme, engelsgleich, sinnlich.
»Ist sie tot?«
Was ist Tod? Ich stelle mir die Frage, spreche sie aber nicht aus, sondern antworte: »Meine Frau lebt in meinem Herzen - für immer.«
»Du liebst sie noch immer, nicht wahr?«
»Natürlich. Aber ich liebe vieles. Ich liebe es, hier mit dir zu sitzen, liebe es, mit jemandem, den ich schätze, die Schönheit hier zu genießen. Ich liebe es, zuzuschauen, wie der Fischadler über den Fluß schwebt und sein Abendessen sucht.«
Sie bleibt einen Augenblick stumm und schaut zur Seite, so daß ich ihr Gesicht nicht sehen kann. Eine alte Gewohnheit von ihr.
»Warum tust du das?« Keine Angst, nur Neugier. Ich weiß, was sie meint, frage aber trotzdem.
»Was?«
»Warum verbringst du den Tag mit
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