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Wie ein einziger Tag

Wie ein einziger Tag

Titel: Wie ein einziger Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicholas Sparks
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mir?«
    Ich lächle.
    »Ich bin hier, weil es so sein soll. Es ist ganz einfach. Wir beide, du und ich, genießen es, gemeinsam die Zeit zu verbringen. Glaub nicht, daß es für mich vergeudete Stunden, Minuten seien. Im Gegenteil. Ich sitze hier, wir plaudern miteinander, und ich frage mich, was angenehmer sein könnte als das, was ich gerade tue.«
    Sie schaut mich an, und für eine Sekunde, eine Sekunde nur, funkeln ihre Augen, und ein Lächeln huscht über ihre Lippen.
    »Ich bin gern mit dir zusammen, aber wenn du darauf aus bist, mich neugierig zu machen, dann ist es dir gelungen. Ich gebe zu, daß ich mich in deiner Gesellschaft wohl fühle, aber ich weiß nichts von dir.
    Ich erwarte jetzt nicht, daß du mir deine Lebensgeschichte erzählst, aber warum tust du so geheimnisvoll?«
    »Ich habe mal gelesen, daß Frauen geheimnisvolle Fremde lieben.«
    »Das ist keine richtige Antwort auf meine Frage. Du hast die meisten meiner Fragen nicht beantwortet. Du hast mir nicht mal erzählt, wie die Geschichte von heute morgen ausgegangen ist.«
    Ich hebe die Schultern, und wir sitzen eine Weile schweigend da.
    »Ist das wahr?« frage ich schließlich.
    »Ist was wahr?«
    »Daß Frauen geheimnisvolle Fremde lieben.«
    Sie überlegt und lacht. Dann gibt sie eine Antwort, wie ich sie gegeben hätte.
    »Manche Frauen schon.«
    »Und du?«
    »Jetzt bring mich nicht in Verlegenheit. Dazu kenne ich dich nicht gut genug.« Sie macht sich über mich lustig, und das freut mich.
    Wir schweigen und betrachten die Welt um uns herum. Ein ganzes Leben haben wir gebraucht, um das zu lernen. Es scheint, als könnten nur die Alten ohne zu reden beieinander sitzen und dennoch zufrieden sein. Die Jungen, forsch und ungeduldig, müssen ständig die Stille unterbrechen. Das ist eine Vergeudung, denn Stille ist so rein. Stille ist heilig. Sie verbindet die Menschen, denn nur wenn man sich in Gegenwart eines anderen wohl fühlt, kann man schweigend beieinander sitzen. Das ist das große Paradoxon.
    Die Zeit verstreicht, und langsam geht unser Atem im selben Rhythmus, wie heute morgen. Tiefe Atemzüge.
    Entspannte Atemzüge, und dann beginnt sie einzunicken, wie es oft unter Menschen geschieht, die sich wohl miteinander fühlen. Ich frage mich, ob die Jungen fähig sind, so etwas zu genießen. Schließlich, als sie erwacht, ein Wunder.
    »Siehst du den Vogel dort?«
    Ich schaue angestrengt in die Richtung, in die ihr Finger weist. Und was ich sehe, ist ein Wunder.
    »Ein Silberreiher«, sage ich leise, und wir beobachten gemeinsam, wie er über den Fluß gleitet. Und als ich den Arm sinken lasse, lege ich wie aus einer alten, wiederentdeckten Gewohnheit die Hand auf ihr Knie. Sie läßt es geschehen.
    Sie hat recht, wenn sie sagt, daß ich oft ausweiche. An Tagen wie diesem, wenn nur ihr Erinnerungsvermögen nicht funktioniert, gebe ich oft vage Antworten. Denn ich habe meine Frau in den letzten Jahren so manches Mal durch gedankenlose Bemerkungen tief verletzt. Das soll mir nicht wieder passieren. So halte ich mich zurück, antworte nur auf Fragen, und manchmal nicht allzu deutlich, und gehe kein Risiko ein.
    Dies ist eine schwierige Entscheidung, sowohl gut als auch schlecht, aber notwendig, denn mit dem Wissen kommt auch der Schmerz. Und um den Schmerz zu begrenzen, muß ich auch mit meinen Antworten vorsichtig sein. Es gibt Tage, an denen sie nichts von ihren Kindern erfährt, auch nicht, daß wir verheiratet sind. Es ist bedauerlich, aber ich kann es nicht ändern.
    Bin ich deshalb unehrlich? Vielleicht, aber ich habe erlebt, wie sie unter dem Sturzbach von Informationen zusammenbrach. Könnte ich mich denn ohne gerötete Augen und zitterndes Kinn im Spiegel betrachten, wenn ich wüßte, daß ich alles, was mir wichtig war, vergessen habe? Ich könnte es nicht, und auch sie kann es nicht, denn als diese Odyssee begann, hat sie auch für mich begonnen. Ihr Leben, ihre Ehe, ihre Kinder. Ihre Freunde und ihre Arbeit. Fragen und Antworten wie in der TV-Spielshow »This is Your Life«.
    Die Tage waren für uns beide schwer. Ich war eine Enzyklopädie, ein Gegenstand ohne Gefühl für die Fragen nach dem Wer, Was und Wo in ihrem Leben, doch in Wirklichkeit ging es um das Warum, um das, was allem einen Sinn gab, worüber ich aber nichts wußte und was ich nicht richtig beantworten konnte.
    Sie starrte auf Fotos von vergessenen Kindern, hielt Pinsel in der Hand, die sie zu nichts inspirierten, und las Liebesbriefe, die keine Freude aufkommen

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