Wie ein Flügelschlag
Schwimmbrille vom Kopf, schüttelte ihre
blonden Locken und schwang sich aus dem Becken. Ohne mich
und Drexler noch einmal anzusehen, verließ sie die Halle.
»He, Mel, warte!« Langsam wurde ich echt wütend. Ich
stützte mich am Beckenrand auf und stemmte mich ebenfalls
aus dem Wasser. »Sag mal, spinnst du komplett? Was ist eigentlich
los mit dir?«
Ich wollte hinter ihr her zu den Duschen laufen, als Drexlers
Hand mich hart am Oberarm packte. »Ich glaube, wir beide
sollten uns mal in Ruhe unterhalten.«
Ich drehte mich um und versuchte, meinen Arm aus seiner
Umklammerung zu befreien, aber Drexler hielt mich fest.
»Aua. Was soll das, verdammt?«
»Wir reden. Jetzt.« Sein Blick war eindeutig. Melanie war inzwischen
längst unter der Dusche. Ich gab auf. Sofort lockerte
sich Drexlers Griff.
»Was wollen Sie?«
»Es geht um deine Leistungen. Und um das Sichtungsschwimmen
nächste Woche.«
»Meine Leistungen? Ist irgendetwas damit nicht in Ordnung?
« Drexler wusste so gut wie ich, dass ich in dieser Gruppe
nur wenig ernsthafte Konkurrenz hatte.
»Noch ist damit alles in Ordnung. Aber ich möchte, dass das
auch so bleibt.«
»Keine Sorge. Das wird es. Sonst noch was?«
»Nein. Das war's schon. Ich will einfach nur, dass du uns hier
so lange wie möglich erhalten bleibst.«
Ich starrte ihn an.
»Wie meinen Sie das?« Langsam wurde mir kalt.
»Ich meine das so, wie ich es sage. Hier gibt es Regeln. Du
hältst dich nicht immer an meine Anweisungen. Das kann ich
nicht dulden. Du gefährdest die Disziplin der Mannschaft und
deinen eigenen Trainingserfolg.«
»Eben haben Sie noch gesagt, mit meinen Leistungen sei
alles in Ordnung. Und was unser kleines Rennen eben angeht,
Sie haben doch gesehen, dass Mel das Tempo …«
»Halt Melanie da raus!« Drexler wurde lauter. »Hier geht es
nicht um Melanie, hier geht es um dich. Dein Stipendium steht
auf dem Spiel, Jana Schwarzer, wenn du nicht in der Lage bist,
dich zu integrieren.«
Ich schnappte nach Luft. Mein Stipendium? Wollte Drexler
mir ernsthaft damit drohen, nur weil Melanie und ich uns ein
kleines Wettrennen geliefert hatten?
»Verdammt noch mal, Jana, ich will dir doch nur helfen.«
Drexler sprach wieder leiser. »Deine Leistungen sind vollkommen
in Ordnung, du musst niemandem etwas beweisen, am allerwenigsten
mir.«
Ich starrte ihn an. Was zur Hölle wollte der Kerl von mir?
»Kann ich jetzt gehen?«
»Ja. Nein. Eins noch.« Drexler packte mich wieder am Oberarm.
Nicht so fest diesmal, aber ich blieb trotzdem stehen.
»Das Sichtungsschwimmen nächste Woche.«
»Was ist damit?«
»Ich möchte, dass du dich ein bisschen zurückhältst, … dass
du Melanie den Vorrang lässt.«
»Sie wollen, dass ich«, ich suchte nach den richtigen Worten,
»dass ich
absichtlich
langsamer schwimme?«
Drexler ließ meinen Arm los und wandte sich ab. »Ich will
nur, dass du dich ein bisschen zurücknimmst. Das ist alles.« Er
schaute aus dem Fenster. »Deiner Karriere wird es nicht schaden,
und für Melanie ist es wichtig, bei der Sichtung vorne zu
liegen. Ganz vorne.«
Mir blieb einfach der Mund offen stehen.
»Haben wir uns verstanden?« Drexler hatte sich mir wieder
zugewandt.
»Warum sollte ich das tun? Ich meine …« Ich stockte. »Es ist
ja gar nicht gesagt, dass ich es schaffe, schneller als Mel zu sein.
Aber warum sollte ich es gar nicht erst versuchen?«
»Weil ich es dir sage, darum.«
Ich schüttelte den Kopf.
»Warum …«
»Herrgott noch mal!« Er knallte das Klemmbrett mit unseren
Trainingsplänen auf den Hallenboden. Erschrocken wich
ich zurück, aber Drexler hatte sich schon wieder im Griff.
»Tu einfach, was ich dir sage, okay?« Er bückte sich nach den
Unterlagen. Ohne mich anzusehen, sprach er weiter: »Du wirst
Melanie nächste Woche den Vorrang lassen, oder …«
»Oder?« Ich wollte trotzig klingen, aber so ganz gelang mir
das nicht.
Drexlers Augen fixierten mich. »Sportler, die die Anweisungen
ihres Trainers infrage stellen, können wir hier nicht gebrauchen.
Ich gehe davon aus, dass das jetzt deutlich genug war.«
Ich presste die Lippen zusammen. Drexler wandte sich um
und verließ die Schwimmhalle.
Als ich in die Umkleide kam, waren die anderen schon weg. Ich
weiß nicht, wie lange ich unter der Dusche stand, mir kam es
vor, als seien es Stunden gewesen. Obwohl ich das heiße Wasser
bis zum Anschlag aufgedreht hatte, fror ich erbärmlich.
Ich versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen, versuchte zu
verstehen, was da eben
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