Wie ein Flügelschlag
Wunsch zu erfüllen.« Mika seufzte.
Ich zuckte mit den Schultern. »Und was hat das alles mit mir
zu tun?«
»Du bist gut. Mindestens so gut wie Mel, bei den Zeiten, die
du schwimmst.« Er schaute mir in die Augen, und ich musste
mich zwingen, nicht darin zu ertrinken. »Und damit bist du
eine Gefahr für seine Pläne.«
»Seine Pläne?«
»Er will Mel oben sehen. Ganz oben, wenn du verstehst, was
ich meine.«
»Olympia?«
Mika nickte.
»Und Mel? Will sie das auch?«
Jetzt war er es, der mit den Schultern zuckte. »Ja, ich glaube
schon. Ich bin mir nur nicht so sicher, ob sie es wirklich für sich
selbst will, oder nur, weil sie ihn nicht enttäuschen möchte.«
»Tja, Pech für deine Schwester, dass wir das gleiche Ziel
haben.« Ich hatte langsam keine Lust mehr auf diese Unterhaltung.
Die Gefühle zu diesem Jungen verwirrten mich. Und die
Ziele von Doktor Wieland waren mir herzlich egal. »Da wird sie
wohl kämpfen müssen.«
Ich schwang mich auf mein Rad und wollte losfahren, aber
Mika hielt den Lenker fest.
»Wenn du gegen Mel kämpfst, kämpfst du gegen meinen
Vater. Das ist ein Kampf, den du nur verlieren kannst.«
Die Besorgnis in seiner Stimme machte mir Angst.
Sie meinen es nicht so , hatte Melanie gesagt. Sie meint es nicht so. Auch Mika hatte diese Worte benutzt. Mika. Ich lag da, starrte in
die Dunkelheit und versuchte, mir sein Gesicht ins Gedächtnis
zu rufen. Die gleichen blonden Locken, wie sie auch Mel trug.
Nicht ganz so lang natürlich, aber lang genug, um im Sommer
einen hübschen Surfer abzugeben. Ich konnte es eigentlich
nicht so ganz glauben, dass Melanie die Einzige sein sollte, die
in der Familie sportliches Talent geerbt hatte. Mika sah wirklich
alles andere als unsportlich aus. Ich fragte mich, auf wessen Seite
er stand.
Sie meinen es nicht so . Sie alle meinten es exakt so. Warum zur
Hölle sollten sie diese Dinge sonst sagen?
Nur bei Wieland war es genau umgekehrt. Seine Nettigkeiten
waren keineswegs so gemeint, wie sie sich anhörten. Da war ich
mir sicher. Ich musste an Wielands Lächeln denken, mit dem
er mich abserviert hatte. Er versteckte sich hinter der professionellen
Höflichkeit eines Arztes. Es waren seine Augen, die ihn
verrieten. Die mir zeigten, dass er mich am liebsten dahin zurückschicken
würde, wo ich hergekommen war.
Seit ich denken kann, hatte ich mich nach einem Vater gesehnt.
Ich stellte mir vor, wie er neben mir herlief, als ich Radfahren
lernte. Ich malte mir aus, wie er am Beckenrand stand
und mich anfeuerte, als ich zu schwimmen begann. Wir ließen
zusammen Drachen steigen und spielten gegen die Jungen in
unserer Straße Fußball. In Wirklichkeit hatte ich nie einen Drachen
besessen und wenn, hätte ich nicht gewusst, wie man ihn
zum Fliegen bringt. Und es war auch keiner da, der es mir hätte
beibringen können. Das Fliegen habe ich ganz allein gelernt.
Mein Wecker hatte noch nicht geklingelt. Ich schloss die
Augen und versuchte, mir auszumalen, wie mein Vater wohl
ausgesehen hatte. Es gab einmal ein Foto von ihm. Aber ich
habe es nicht geschafft, sein Bild in mir festzuhalten. Alles, was
ich vor meinem inneren Auge sehe, wenn ich versuche, dieses
Foto wieder heraufzubeschwören, ist ein Haufen kleiner Papierschnipsel.
Und eine Kinderschere.
Als ich das Foto fand, war ich fünf Jahre alt. Ich hatte keine
Ahnung, wer der Mann auf dem Bild war, aber er gefiel mir. Damals
gefielen mir allerdings fast alle Männer, so sehr wünschte
ich mir einen von ihnen in unsere Wohnung. Ich stellte mir vor,
dass alles besser würde, wenn einer da wäre, der Mama half, mit
dem fertig zu werden, das sie so traurig machte. Ich glaubte,
Mama dürfte nur nicht mehr allein sein, dann würden auch die
Klammertage für immer verschwinden. Das Foto mit dem fremden
Mann versteckte ich und betrachtete es immer nur heimlich.
Als meine Mutter mich damit erwischte, rastete sie aus. Sie
schrie herum, wo ich das Bild herhätte, wie ich es wagen könnte,
in ihren Sachen zu wühlen, was mir einfallen würde, ihr hinterherzuspionieren.
Das Foto war einfach nur aus einem Buch herausgefallen, das
ich mir hatte anschauen wollen. Ich hatte es aus dem Regal gezogen
und da war mir dieser Mann vor die Füße gefallen. Ich
hatte ihn nicht gesucht, er hatte mich gefunden. Aber meiner
Mutter sagte ich das alles nicht. Sie hätte mich ohnehin nicht
gehört. Sie brachte mir meine Bastelschere und befahl mir, das
Bild zu zerschneiden. Ich wollte das nicht, es kam mir falsch vor,
auch
Weitere Kostenlose Bücher