Wie ein Flügelschlag
aus.«
»He, das Gleiche wollte ich gerade zu dir sagen.«
Sie ging an mir vorbei in die Küche.
»Magst du Toast? Ich hab Kaffee gekocht, willst du frühstücken?
«
»Ja bitte.« Vermutlich würde ich keinen Bissen runterkriegen,
aber ich wollte sie nicht schon wieder enttäuschen.
»Was ist aus diesem Sichtungsschwimmen geworden?«
Sie schaute mich nicht an, während sie die Frage stellte. Trotzdem
war ich erstaunt, dass sie das nicht vergessen hatte.
»Ist erst nächste Woche. Am Dienstag.« Ich griff nach dem
Toast. Überrascht stellte ich fest, dass ich doch hungrig war.
»Hast du dich schon entschieden?«
Ich schüttelte den Kopf. Wieder einmal sehnte ich mich danach,
mit ihr reden zu können, so wie ich mir vorstellte, dass
Mütter und Töchter miteinander redeten. Aber wir konnten es
nicht. Hatten es noch nie gekonnt. Zwischen uns standen so
viele unausgesprochene Sätze, die zu Wänden geworden waren.
Ihre Hand tastete nach der Zigarettenschachtel. Sie nahm sie
auf, hielt sie kurz. Und legte sie wieder hin. Dann schob sie die
Schachtel weit weg. Fragend blickte ich sie an.
»Dieser Mika …«
Ich versuchte, unbeteiligt auszusehen. »Was soll mit ihm
sein?«
»Hast du … ich meine … habt ihr euch noch mal getroffen?«
Ich fühlte, wie mir das Blut ins Gesicht schoss, und betete,
dass sie das nicht bemerkte. Er hatte mich getroffen. Mitten
ins Herz. Aber das ging sie nichts an. Wieder schüttelte ich den
Kopf.
»Mika ist nicht am Internat. Er lebt bei seinen Eltern und besucht
eine ganz andere Schule.«
Sie konnte ihre Erleichterung nicht verbergen. Ich schob meinen
Teller von mir und ging ins Bad. Ich sperrte von innen ab
und setzte mich auf den geschlossenen Klodeckel. Als ich mein
Gesicht in die Hände stützte, fühlte es sich heiß an. Fast fiebrig.
Was war nur mit mir los?
Ich stand auf und stellte mich vor den Spiegel. Ich zog mein
Sweatshirt über den Kopf, dann mein T-Shirt. Betrachtete meinen
Oberkörper, schaute mir ins Gesicht. Die Augen, in die ich
blickte, brannten vor Sehnsucht. Wonach, hätte ich nicht sagen
können. Ich griff hinter meinen Rücken und öffnete die Träger
meines BHs. Seit über zehn Jahren war ich fast täglich im Wasser.
Zog mich aus. Schlüpfte in den Schwimmanzug, der wie
eine zweite Haut war, und schwamm. Ich kannte jeden Muskel,
jede Sehne. Und doch war es heute, als ob ich in das Gesicht
einer Fremden schaute. Als ob die Haut vor mir nicht meine
wäre. Ich sah meine Brüste, die klein waren und fest vom vielen
Training. Vorsichtig berührte ich sie mit meinen Fingerspitzen.
Im Spiegel waren es Mikas Finger, die mich berührten. Ich strich
über meine Brustwarzen, die sofort hart wurden, und stöhnte
leise. Als ich wieder in den Spiegel sah, waren da nur noch meine
Hände. Meine Augen blickten mir groß und voller Fragen entgegen.
Ich drehte mich ein wenig zur Seite und versuchte, den
Schmetterling zu sehen. Fast hatte ich Angst, er könnte davongeflogen
sein. So vieles hatte sich verändert, aber er war noch
da. Bisher war immer alles so klar gewesen. So einfach. Wenn ich
schwamm, konnte ich die Welt um mich herum vergessen. Solange
ich schwamm, war ich frei. Und jetzt? Ich schaute wieder
in den Spiegel. Suchte die Züge meiner Mutter in meinem Gesicht.
Ihre Augen sind blau. Die Augen, die mir entgegenblickten,
waren dunkel. Fast schwarz. Es müssen die Augen meines
Vaters sein.
Ich dachte an Mikas Augen. Meeresaugen hatte ich sie genannt.
Ob meine Mutter auch einmal einen Namen für die
Augen meines Vaters hatte? Was sah sie, wenn sie mir ins Gesicht
blickte? Ich kannte nicht einmal seinen Namen. Vielleicht
macht es das Vergessen leichter, wenn die Erinnerung keinen
Namen hat.
Ich musste Mika genauso vergessen. Für ihn war kein Platz in
meinem Leben. Aber ein Bild, das man im Kopf hat, lässt sich
nicht so einfach in tausend Stücke schneiden.
»Was machst du da drin?« Meine Mutter klopfte an die Tür.
Ich zog meinen BH wieder an und schloss auf.
Ein Bild, das man im Herzen hat, kann man nur herausreißen.
Alles hatte sich verändert. Jetzt war es an der Zeit, selbst
etwas zu ändern. Ich hob meine Klamotten vom Fußboden auf,
streifte sie über und öffnete die Tür.
»Jana?«
Ich hatte die Tür hinter mir schon fast zugezogen, als meine
Mutter mich noch mal zurückrief.
»Hm?«
»Ich wünsch dir viel Glück am Dienstag. Egal, wie du dich
entscheidest, es wird das Richtige sein.«
»Okay.« Ich schluckte. »Danke.« Schnell wandte ich
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