Wie ein Flügelschlag
vergrößerte
Gesicht, vergleiche es mit dem Foto auf dem Tisch.
»Das
ist
Markus Bernges. Hundertprozentig. Auch wenn sein
Name nicht auf dem Foto steht.«
Mika runzelt die Stirn.
»Es gibt nur zwei Möglichkeiten«, sagt er, während er das
Foto wieder in seinen Rahmen verfrachtet. »Entweder du irrst
dich und das auf dem Bild ist jemand ganz anders. Dann wissen
wir allerdings überhaupt nicht, warum Mel es abfotografiert
haben sollte.«
»Vielleicht hat sie sich genauso geirrt wie ich«, werfe ich ein.
Ich versuche gar nicht erst, meine Enttäuschung zu verbergen.
»Es gibt noch eine andere Möglichkeit.«
»Und die wäre?«
»Du hast recht und der Junge da auf dem Foto ist tatsächlich
euer Deutschlehrer. Allerdings heißt er nicht Markus Bernges,
sondern vermutlich Ralf Wagner.« Mika deutet auf das Bild.
»Außerdem hat er dann nicht nur seinen Namen geändert, sondern
auch seine Haarfarbe.«
Ich starre Mika an.
»Du meinst, dieser Ralf Wagner ist«, ich suche nach dem
richtigen Wort, »du meinst, er ist
inkognito
an die Schule zurückgekehrt?
«
»Dass dieser Bernges euch erzählt hat, vom Schwimmen
keine Ahnung zu haben, spricht zumindest dafür, dass er etwas
zu verbergen hat, oder?«
Ich nicke. »Aber was könnte das sein? Warum sollte jemand
unter falschem Namen als Lehrer arbeiten?«
»Das müssen wir herausfinden.«
»Kannst du nicht einfach deinen Vater darauf ansprechen?
Zeig ihm das Foto und frag ihn, wer die Leute darauf sind.«
Mika schüttelt den Kopf. »Seit Melanies Tod ist er kaum noch
ansprechbar. Macht man es doch, rastet er total aus. Er vergräbt
sich in seine Arbeit, ist kaum zu Hause und wenn, dann schließt
er sich in sein Arbeitszimmer ein. Ich glaube nicht, dass er mir
im Augenblick viel erzählen würde. Außerdem«, Mika greift
nach Melanies Handy, »kommt es mir falsch vor, ihm etwas zu
zeigen, das meine Schwester offensichtlich vor ihm geheim gehalten
hat.«
Ich habe nicht erwartet, dass Melanies Vater so unter ihrem
Tod leiden würde. Überhaupt habe ich in den letzten Tagen
wenig an ihre Eltern gedacht. Irgendwie waren sie mir so kalt, so
gleichgültig erschienen, dass ich mir gar nicht vorstellen konnte,
dass sie Mel vielleicht doch auch geliebt haben könnten.
Ich versuche, das Brennen in meinen Augen zu ignorieren.
Denke an Mel, wie sie im Hof vor Bernges gestanden hat und
auf gar keinen Fall wollte, dass er persönlich mit ihrem Vater
spricht.
»Sie hat es gewusst«, sage ich. »Mel hat gewusst, dass Bernges
nicht der ist, für den er sich ausgibt. Und ich möchte gerne
herausfinden, was sie noch alles gewusst hat.«
Dann fällt mir etwas ein.
»Das
Construnit
in Mels Tasche«, sage ich.
»Was ist damit?« Auch Mika muss erst wieder aus seinen Gedanken
auftauchen.
»Ich hatte die Tasche von Bernges bekommen. Angeblich
hatte Mel sie im Probenraum stehen lassen. Er bat mich, sie
ihr mitzubringen. Bisher fand ich das nicht so wichtig. Aber
jetzt …« Ich vollende meinen Satz nicht. Mika versteht auch so,
was ich sagen will.
»Jemand, der so viel zu vertuschen hat, sagt vermutlich in
keinem Punkt die Wahrheit. Damit haben wir noch einen mehr
auf unserer Liste derjenigen, die irgendetwas mit diesem Zeug
zu tun haben.« Mutlos sieht er mich an. »Nur hilft uns das jetzt
nicht wirklich weiter.«
Da ist so viel Traurigkeit in seiner Stimme. Ich berühre ihn am
Arm, streiche sanft über seine Haut. Er legt seine freie Hand auf
meine und hält sie fest.
»Manchmal frage ich mich, ob wir nicht besser damit aufhören
sollten.«
Erschrocken sehe ich ihn an. »Womit?«
Er lächelt traurig und drückt meine Hand. »Nicht damit. Das
fängt ja gerade erst an.«
Ich traue mich nicht zu atmen, aus Angst, der Satz, der zwischen
uns steht, könnte wie eine Seifenblase zerplatzen.
Es fängt
gerade erst an.
Und plötzlich will ich, dass es doch funktioniert. Dass es nicht
nur anfangen kann, sondern auch weitergeht. Dass meine Mutter
vielleicht nicht recht hat und nicht alle so sind wie die, die sie
so verletzt haben.
Wir sehen uns an, dann stehen wir auf. Erst jetzt merke ich,
dass wir die ganze Zeit gar nichts bestellt haben.
Mika steckt die Handys zurück in die Jackentasche, ich hänge
das Bild wieder an die Wand. Dann greife ich nach seiner Hand
und ziehe ihn aus dem Café.
Draußen schließe ich geblendet die Augen. Zum ersten Mal
seit Tagen scheint tatsächlich die Sonne. Ohne ein Wort zu sprechen,
gehen wir weg von der Schule und dem Café, wir laufen
in
Weitere Kostenlose Bücher