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Wie ein Flügelschlag

Wie ein Flügelschlag

Titel: Wie ein Flügelschlag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Wilke
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man es erst
scannt und dann mit dem Computer entsprechend bearbeitet.
Oder wenn man es abfotografiert und eine ordentliche Zoomfunktion
hat. Da hat Mels Handy ja leider kläglich versagt.«
    Er schlägt sich gegen die Stirn. Dann zieht er sein eigenes
Handy aus der Tasche. Wir beschließen, dass er zunächst einmal
nur die vier Jungen ganz oben auf dem Treppchen fotografieren
soll. Die Gruppe, in der auch Doktor Wieland steht. Alle anderen
scheinen uns nicht wichtig zu sein.
    Es dauert eine Weile, bis Mika das Bild gemacht und dann das
entsprechende Menü geöffnet hat. Gespannt beugen wir uns
über sein Handy.
    Man kann die vier jetzt viel besser erkennen. Mit dem Cursor
fährt Mika auf Wielands Kopf und zoomt ihn so groß, bis nur
noch sein Gesicht das Display ausfüllt.
    »Ich kann absolut nichts Besonderes entdecken. Keine Ahnung,
warum Mel das Bild abfotografiert hat. Vielleicht wollte
sie es einfach nur unserem Vater zeigen.« Resigniert legt Mika
sein Handy wieder auf den Tisch.
    Auch ich bin enttäuscht. Seufzend nehme ich das Handy und
spiele eine Weile damit herum. Ich schiebe den Cursor weiter
auf den nächsten Jungen, den, der zusammen mit Wieland den
Pokal in die Luft stemmt. Wie Mika vorher vergrößere ich das
Gesicht des Jungen so lange, bis es das Display komplett ausfüllt.
Erst kann ich kaum noch etwas erkennen, weil es durch die
Vergrößerung immer unschärfer geworden ist. Ich zoome wieder
zwei Stufen raus und betrachte den Jungen erneut.
    Und dann schnappe ich nach Luft.
    Ich starre auf das Bild im Display, dann wieder auf das
Schwarz-Weiß-Foto vor uns auf dem Tisch. Ich suche den Jungen
auf dem Original, kneife die Augen zusammen, um besser
sehen zu können. Kein Zweifel. Wenn man es weiß, kann man
es auch auf dem Original erkennen. Ganz ohne Vergrößerung.
Jetzt begreife ich, warum Mel dieses Bild abfotografiert hat, und
ich ahne, dass es sie ganz schön aus der Bahn geworfen haben
muss.
    »Mika, ich weiß, was Mel an diesem Foto so spannend fand.«
    Ich schiebe das Handy zu ihm über den Tisch.
    »Der Junge neben deinem Vater, der mit der Hand an dem
Pokal«, ich hole Luft. »Dieser Junge in der Mannschaft deines
Vaters ist Markus Bernges. Unser Deutsch- und Lateinlehrer.«
    Verständnislos schaut Mika mich an.
    »Auf dem Foto ist der Junge blond. Deshalb habe ich ihn
nicht gleich erkannt. Unser Lehrer hat dunkle Haare. Aber es
ist das gleiche Gesicht. Da bin ich mir ganz sicher. Es gibt da nur
ein Problem«, ich mache eine bedeutungsvolle Pause, »Markus
Bernges sitzt heute im Rollstuhl.«
    Einen Moment herrscht Stille.
    Mika findet zuerst seine Sprache wieder. »Das ist doch der
Lehrer, der die Theater-AG leitet, oder?«
    Ich nicke.
    »Mein Vater hat nie erwähnt, dass er ihn kennt. Ich meine«,
er zeigt auf das Foto, »die beiden müssen Freunde gewesen sein.
Zumindest Trainingspartner. Und jetzt ist dieser Bernges Lehrer
an der gleichen Schule. Das hätte mein Vater uns doch erzählt?
Bernges war auch nie bei uns zu Hause. Wenn die beiden sich
kennen, warum machen sie dann so ein Geheimnis daraus?«
    »Es gibt noch mehr Geheimnisse«, werfe ich ein, und dann
erzähle ich ihm, dass Bernges immer behauptet hat, von Sport
keine Ahnung zu haben, und wie ich ihn letzte Nacht beim
Schwimmen beobachtet habe. Zumindest woher Bernges so gut
schwimmen kann, hatten wir jetzt geklärt.
    »Warum sitzt er denn im Rollstuhl?« Fragend schaut Mika
mich an.
    Ich erzähle ihm das wenige, was ich damals aus der Unterhaltung
mit Tom und Mel mitbekommen habe. Da wusste ich noch
nicht, dass Bernges selbst einmal Leistungssportler gewesen ist.
Wie grausam musste das sein. Warum tat er sich das an? Ausgerechnet
an die Schule zurückzukehren, die ihn immer an seine
Zeit vor dem Unfall erinnern würde. Ich fühle, wie meine Wut
auf seine Lügen einer Woge von Mitleid Platz macht. Dann fällt
mein Blick auf Mika.
    »Was machst du da?«
    Mika hat das Bild vom Tisch genommen und fummelt an der
Rückseite des Rahmens herum. Er öffnet die kleinen Häkchen,
nimmt die hintere Pappe heraus und zieht das Foto hervor.
    »Michael Förster, Klaus Wieland, Ralf Wagner, Martin
Schuster«, liest er laut und lässt das Bild sinken. »Kein Markus
Bernges. Fehlanzeige.«
    Ich reiße es ihm aus der Hand und überfliege die Namen, die
jemand mit Bleistift auf die Rückseite geschrieben hat. Schaue
auch bei den anderen acht Namen. Mika hat recht. Kein Markus
Bernges.
    Ich greife wieder nach dem Handy, betrachte das stark

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