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Wie ein Flügelschlag

Wie ein Flügelschlag

Titel: Wie ein Flügelschlag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Wilke
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markiert. Wie von selbst richtet mein Körper sich an dieser
Linie aus. Meine Augen brennen. Meine Arme und Beine
schmerzen. Wer hat geschrien? Da war ein Schuss. Bin ich getroffen?
Aber ich atme. Und ich schwimme.
    Links, rechts, atmen. Das Wasser wird ruhiger. Die Leichtigkeit,
mit der mein Körper plötzlich darauf liegt, lässt mich staunen.
    Am Rand nehme ich Schemen wahr. Sie rennen auf die andere
Seite. Ich schwimme. Vor mir der Beckenrand.
Disqualifiziert
wegen fehlerhafter Wende
. Diesmal werde ich alles richtig
machen. Ich sehe die Wand. Will den Kopf senken und das Kinn
zur Brust ziehen. Da erblicke ich die Hand. Sie senkt sich über
den Beckenrand und taucht ein in das brodelnde, kochende
Wasser. Ganz ruhig. So als ob ihr die Hitze nichts anhaben
könnte. Ich hebe den Blick kurz über den Beckenrand und sehe
in zwei Augen, die wie das Meer schimmern. Dann greife ich
nach der Hand und Mika zieht mich aus dem Becken.
    Irgendjemand bringt eine Decke, die Mika mir über die
Schulter legt. Das Zittern ist wieder da. Aber diesmal ist da jemand,
der mich festhält.
    »Es ist vorbei«, flüstert Mika.
    »Es hat doch gerade erst angefangen«, flüstere ich.
    Obwohl ich kaum sprechen kann, muss ich lächeln.

    Langsam, ganz langsam tauche ich auf. Sehe die anderen. Sehe
Männer, die Bernges Handschellen anlegen. Wieland, der ebenfalls
von zwei Männern festgehalten wird. Mikas Mutter, die zusammengesunken
auf einem Startblock sitzt.
    »Ich hätte dich schon damals umbringen sollen!«, schreit
Wieland. Die Männer ziehen ihn zurück, reden auf ihn ein.
Bernges zuckt nicht mal mit der Wimper.
    »Du Schwein, du elendes Schwein. Warum bist du nicht verreckt?
Warum?«
    In seiner Stimme liegt so viel Schmerz, so viel Verzweiflung,
dass ich Mitleid bekomme mit dem Mann, für den ich bisher
nur Verachtung kannte.
    »Du hast mir alles genommen. Alles.« Seine Stimme bricht
weg. Die Männer müssen ihn nicht mehr beruhigen, nicht mehr
festhalten. Doktor Klaus Wieland ist ein gebrochener Mann.
    Bernges richtet sich in seinem Rollstuhl auf. Sein Blick fällt
auf mich, aber ich drehe den Kopf weg. Ich kann seine Augen
nicht mehr ertragen.
    »Ich habe dir alles genommen?« Er lacht höhnisch. Einer der
Männer legt ihm eine Hand auf die Schulter. Mehr nicht. Ein
Mann im Rollstuhl, noch dazu in Handschellen, stellt keine Gefahr
mehr dar.
    »Ich habe dir alles genommen. Ja. Warum sollte es dir besser
gehen als mir? Warum solltest du eine Zukunft haben? Ich
habe keine Zukunft mehr. Du warst es. Du hast
mir
alles genommen.
Du hast gewusst, dass ich nur das konnte. Schwimmen.
Schwimmen und atmen. Das eine ging nicht ohne das andere.«
Wieder wirft er mir einen Blick zu. Was will er von mir? Hofft er,
so etwas wie Verständnis zu bekommen?
    »Du hast mir alles genommen. Meinen Körper. Meine Zukunft.
Und meine Frau.« Sein Blick fällt auf Mikas Mutter, die
sichtlich zusammenzuckt.
    »Und all die Jahre musste ich mit ansehen, wie du dir deine
beschissene Zukunft aufbaust. Wie du immer wohlhabender
und erfolgreicher wirst. Musste deine sportliche Karriere verfolgen
und später auch deine berufliche. Und dann hast du deine
Tochter ins Rennen geschickt. Ich? Ich hatte nichts. Ich hatte
keine Zukunft mehr.«
    Den letzten Satz flüstert Bernges nur noch. Ich fange wieder
an zu zittern, aber Mika hält mich fest.
    Einer der Männer tritt hinter den Rollstuhl und schiebt Bernges
in Richtung Ausgang. Als sie an dem Startblock vorbeikommen,
auf dem Mikas Mutter sitzt, hebt diese den Kopf. Tränen
laufen ihr übers Gesicht. Ich kann sehen, wie viel Kraft es sie
kostet, Bernges trotzdem in die Augen zu blicken. Wie viel Beherrschung
sie braucht, um den Mund zu öffnen. Ich denke an
ihre Stimme, die immer so leise war, dass ich sie kaum verstehen
konnte. Denke an ihre kraftlose Hand in meiner. Vielleicht bin
ich deshalb so überrascht, als ich sie jetzt sprechen höre. Klar
und deutlich.
    »Du irrst dich, Ralf.«
    Ralf. Der Name, an den ich mich nicht gewöhnen kann.
    »Du hast dich die ganze Zeit über geirrt.«
    Sie steht auf. Langsam, unter größter Kraftanstrengung, erhebt
sie sich von dem Startblock und geht auf ihn zu.
    »Er hat dir nicht die Zukunft genommen. Das konnte er gar
nicht. Denn deine Zukunft trug ich unter dem Herzen.«
    Bernges schaut sie fragend an.
    »Du hattest eine Zukunft. Melanie.«
    Er zuckt zusammen, als ob sie ihn geschlagen hätte.
    »Melanie war deine Zukunft.«
    Noch einmal holt sie tief Luft. »Melanie war deine

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