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Wie ein Flügelschlag

Wie ein Flügelschlag

Titel: Wie ein Flügelschlag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Wilke
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Vorschein kommt, sehe ich ein
Stück Stoff darin, das er mir vor die Füße wirft. Erschrocken
weiche ich zurück.
    »Zieh das an!«
    Erst jetzt sehe ich, dass das Stück Stoff auf dem Boden ein
Schwimmanzug ist.
    »Warum?« Was soll ich mit einem Badeanzug? Und wie stellt
er sich das überhaupt vor, ich kann doch nicht …
    »Zieh das an! Jetzt! … Und hier!«, fügt er hinzu, als er sieht,
wie ich mich umschaue.
    Seine Stimme hat sich verändert. Sie ist lauter geworden,
schärfer. Ich zucke zusammen.
    »Wird's bald?«
    Langsam hebe ich den Schwimmanzug auf. Meine Beine zittern
so sehr, dass ich mich an einem der Startblöcke festhalten
muss, um nicht wegzusacken.
    Bernges hält noch immer die Waffe auf mich gerichtet.
    Ich will meine Jeans öffnen, doch meine Hände schaffen es
nicht. Ängstlich schaue ich zu ihm rüber, aber er verzieht keine
Miene. Zielt nur weiter mit dem Pistolenlauf. Endlich bekomme
ich den Knopf auf und streife die Hose von den Beinen.
    »Weiter.«
    Ich beiße mir auf die Lippen, bis ich Blut schmecke. Ich will
nicht weinen. Nur ein Wimmern drängt sich aus meinem Hals
nach oben, und es dauert eine Weile, bis ich begreife, dass dieser
jämmerliche Ton tatsächlich von mir kommt. Ich greife nach
dem Saum meines Sweatshirts und ziehe es mir über den Kopf.
Nur noch in meiner Unterwäsche stehe ich jetzt vor meinem
ehemaligen Lehrer. Was will er von mir? Warum soll ich einen
Badeanzug anziehen? Geht es ihm darum, mich nackt zu sehen?
Will er mich einfach nur erniedrigen? Was hat er vor?
    Eine Bewegung mit seiner Waffe genügt. Meine Hände wollen
mir kaum noch gehorchen, trotzdem schaffe ich es irgendwie,
die Häkchen meines BHs zu öffnen und ihn abzustreifen.
Ich würde gerne die Arme vor der Brust verschränken, um mich
nicht seinen Blicken aussetzen zu müssen, aber zumindest eine
Hand brauche ich noch für meinen Slip.
    »Deine Freundin hat das ein wenig schneller hinbekommen.
«
    Mel? Ein Schrei bricht aus mir heraus. Mel war mit ihm hier?
Mit letzter Kraft zerre ich den Slip herunter, verheddere mich
mit den Füßen, wäre fast gestürzt und muss mich mit beiden
Händen am Startblock abfangen. Mein Körper ist seinen Blicken
schutzlos ausgeliefert.
    »Ein Schmetterling«, murmelt er, »wie überaus passend. Ich
verspreche dir, dass du heute noch fliegen wirst. Los jetzt, zieh
das an!« Wieder zeigt er auf den Schwimmanzug, und ich fühle
so etwas wie Beruhigung darüber, dass es offensichtlich nicht
mein Körper ist, an dem er Interesse hat. Schnell schlüpfe ich in
den schwarzen Einteiler. Es überrascht mich nicht einmal, dass
er wie angegossen passt.
    Bernges winkt wieder mit seiner Waffe. »Ins Wasser jetzt, los.
Schwimm dich warm!«
    Ich soll schwimmen, während er da oben am Beckenrand mit
seiner Pistole steht und auf mich zielt?
    »Ich … ich kann nicht.« Viel mehr als ein Flüstern bringe ich
nicht zustande.
    Eine Bewegung von Bernges genügt. Er zielt mit seiner Waffe
genau auf meine Knie.
    Ich unterdrücke einen Schrei und gehe in die Hocke. Langsam
lasse ich mich ins Wasser gleiten und halte mich krampfhaft
am Beckenrand fest.
    Bernges sagt nur ein Wort. »Schwimm.«
    Ich stoße mich ab. Versuche zu gleiten. Aber das Zittern in
meinem Körper wird immer schlimmer. Meine Schwimmbrille
fehlt und das Chlor brennt in meinen Augen. Ich will meinen
Arm aus dem Wasser ziehen, doch um mich herum ist kein Wasser
mehr. Da ist nur noch Eis. Ich schwimme in einem Meer aus
Eiswürfeln. Das Eis trägt mich nicht. Es lähmt mich.
    Der zweite Armzug. Kaum besser als der erste. Bilder tauchen
vor mir auf. Mika. Mika mit den Meeresaugen.
Es fängt gerade
erst an
, hatte er gesagt. Geht etwas so zu Ende, das gerade erst
angefangen hat?
    Ich zwinge meine Arme aus dem Wasser, mein Beinschlag
ist völlig unkoordiniert. Mehr Zittern als wirkliche Bewegung.
Ich sehe Melanie vor mir. Sehe sie auf dem Hallenboden liegen.
Sehe Bernges neben ihr in seinem Rollstuhl.
Deine Freundin hat
das schneller hinbekommen
. Die Schaufensterpuppe. Sie wankt,
die Schwimmbrille um ihren Hals baumelt zur Seite, als sie fällt.
Und mit ihr fallen all die Bilder in meinem Kopf an ihren richtigen
Platz. Bernges war hier. Mit Melanie. Melanie hatte keine
Schwimmbrille um den Hals. Jetzt weiß ich, was mich die ganze
Zeit gestört hat. Wir hätten es merken müssen. Mel wäre niemals
freiwillig ohne Schwimmbrille ins Wasser gegangen.
    Überrascht stelle ich fest, dass ich mich dem Beckenrand nähere.
Keine Ahnung, wie

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