Wie ein Fremder in der Nacht: Roman (German Edition)
Elizabeth an und nahm das Treten wieder auf. »Ich träume einfach vor mich hin.« Tritt. »Ein Pilger und ein Fremder«, murmelte sie, » A pilgrim and a stranger «, Tritt, » I journey here below «, nun sang sie im Takt ihrer Tritte, ein Kirchenlied, das sie in der Woche zuvor bei einer Andacht gesungen hatten, bei der Maze die Augen verdreht und gelacht hatte.
» Far distant is my country «, stimmte Mary Elizabeth mit der gleichen gestelzten Betonung in dem Takt, den Maze mit den Füßen vorgab, ein. » The home to which I go .«
Christliches Gerede vom Himmel brachte Maze auf die Palme. Im Gottesdienst zog sie ein finsteres Gesicht und rutschte tiefer auf der Bank, sobald von einem besseren Leben im Jenseits gesprochen wurde. »Was hat das alles mit dem Leben hier und jetzt zu tun?«, fragte sie, zu Mary Elizabeth hinübergelehnt, in einem lauten Flüstern.
Die Strophe war zu Ende, genau als Maze das Ende einer Reihe auf dem Webstuhl erreicht hatte. Sie hielt die Pedale an, und die Glocken des College schlugen elf Uhr. Man konnte das wirklich nicht vergleichen, dachte Mary Elizabeth, während sie gemeinsam summend zu ihrem Zimmer zurückgingen. Es stimmte zwar, dass sie tatsächlich die Gedanken schweifen lassen konnte, so wie Maze es beschrieben hatte, wenn sie bestimmte Dinge spielte. Vielleicht bei Debussys Reflets dans l’eau aus den Images , dem Stück, das sie als erstes gelernt hatte. Ganz sicher bei einigen der Kirchelieder, den alten, die sie nach wie vor liebte. Precious Lord , I’ll Fly Away , Wayfaring Stranger , Amazing Grace – Mazes Lied.
Doch das alles veränderte sich jetzt gerade, ihr Spiel veränderte sich. Angefangen hatte es, als Mr Roth ein Vorspiel für den Rektor und seine Frau und ein paar Gäste bei einem Empfang Anfang Oktober arrangiert hatte. Sie hatte Stücke gespielt, die ihr geläufig waren, eigentlich im Hintergrund, während die Gäste ihre Bowle tranken und sich unterhielten. Doch nach und nach war es im Salon im Haus des Rektors, mit dem wunderschönen Flügel, ganz still geworden, und alle hatten zugehört und sie angesehen. Beinahe hätte sie vergessen, wo sie war, doch dann hatte sie die Augen geschlossen und sich wieder gefangen und weitergespielt.
Zuerst hatte man sie zum Hintereingang schicken wollen, in die Küche, wo die anderen Bedienungen sich aufhielten. Bis die Frau des Rektors sie entdeckt und ins Haus gebeten hatte. »Sie müssen die Pianistin sein, von der wir schon so viel gehört haben!«, sagte sie. Und Mary Elizabeth wusste genau, warum man von ihr gehört hatte, warum die Frau des Rektors sofort wusste, wer sie war, aber sie lächelte, blickte zu Boden und sagte: »Ja, Ma’am, ich bin zum Spielen gekommen.«
Jetzt rief ungefähr wöchentlich jemand aus dem Büro des Rektors bei Mr Roth an, um einen Termin zu vereinbaren. Ein Ehemaligentreffen. Die Eröffnung eines neuen Gebäudes. Jedem Geldgeber oder Zeitungsreporter, den sie auf den Campus locken konnten, führten sie Mary Elizabeth inzwischen vor. Sie war »das neue Gesicht von Berea«. Während der Thanksgiving-Ferien, berichtete Mr Roth ihr, würde er nach Louisville fahren, um die Noten für Petruschka abzuholen, die er bestellt hatte.
Doch sie war nicht das Gesicht von Berea. Nicht einmal das »neue« Gesicht. Zumindest nicht ihr wahres Ich, das keiner dieser weißen Männer in Anzügen und keine dieser Frauen mit Perlenschmuck jemals zu sehen bekam. Das niemand je zu sehen bekam. Außer vielleicht Maze, manchmal.
Maze, der völlig gleichgültig war, für wen Mary Elizabeth sonst spielte, wollte eigentlich nur, dass ihre Freundin Privatkonzerte für sie gab, sooft es nur ging, drüben in dem Festsaal, in dem sie an ihrem zweiten Abend im College gespielt hatte. Nach dem Essen, nach der Arbeit, nach dem Lernen, wann immer sie nicht webte, wann immer sie Mary Elizabeth dazu bewegen konnte.
Wenn Maze nicht am Webstuhl saß, schien sie immer die Zeit dazu zu haben. Maze schwänzte Unterrichtsstunden, kam abends zu spät aufs Zimmer, verbrachte andauernd zusätzliche Stunden in der Webhütte, einfach nur, weil es ihr mehr Spaß machte als das Studieren. Mary Elizabeth hingegen war zum Geschirrspülen nach den Mahlzeiten im Speisesaal eingeteilt worden, wie die meisten schwarzen Studenten dieses Jahrgangs. Das war die einzige andere Gelegenheit, bei der sie sich nicht verstellen musste, bei der sie ihr wahres Gesicht zeigen konnte. Zwölf Stunden pro Woche.
Ihr Daddy hatte ihr am Abend vor
Weitere Kostenlose Bücher