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Wie ein Fremder in der Nacht: Roman (German Edition)

Wie ein Fremder in der Nacht: Roman (German Edition)

Titel: Wie ein Fremder in der Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joyce Hinnefeld
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und sich abwendete. »Na ja, vielleicht müssten wir ja nicht unbedingt echte Shaker werden.«
    »Dann ist’s ja gut«, sagte Daniel. »Wo die meisten von uns nicht mal an Gott glauben.«
    Nun nickte Dr. Wendt. »Wissen Sie«, meinte er, »ich kann mir das vorstellen. Ich kann mir vorstellen, dass Sie alle das schaffen. Ein neues Utopia, gegründet auf andere Werte. Sie wären moderne Thoreaus. Oder vielleicht wie die Southern Agrarians, aber ohne diese ganze hässliche Südstaatennostalgie.«
    Das war das, was Maze an Dr. Wendt immer störte – dass jede Idee immer seine sein musste. Sie kam nur wegen Harris zu den Kamingesprächen. Andererseits, wenn Dr. Wendt interessiert war, dann schienen es andere im Raum auch zu sein.
    Keine Südstaatennostalgie, nein. Davon würde Schwester Georgia nichts hören wollen. Maze sah sich unter all den weißen Gesichtern im Zimmer um. Daniel würde sich ihnen nie wirklich anschließen, dachte sie. Aber was, wenn sie Mary Elizabeth irgendwie überreden konnte, den Sommer dort zu verbringen? Diese Hoffnung hatte Maze nie aufgegeben, hatte sich sie vier – Harris und sich, Mary Elizabeth und Daniel – zusammen vorgestellt, an irgendeinem anderen Ort als Berea. Oder vielleicht sogar dort, aber nicht mehr als Studenten. Sie würden einfach nur weben, Gegenstände aus Holz bauen, tanzen. Mary Elizabeth würde wieder Klavier spielen.
    Maze schüttelte den Kopf. Alberne Träumereien das Ganze. Mary Elizabeth hatte das mehr als deutlich gemacht. Inzwischen tat sie nichts als lernen und jeden Tag auf Post von der Universität von Chicago warten. Albern von ihr zu glauben, dass irgendjemand sie ernst nehmen würde.
    Doch am Ende des Semesters, als Daniel, Phil und Sarabeth ihren Abschluss machten und Maze ihr Studium abbrach, zogen alle fünf, einschließlich Harris Whitman, in das ehemalige Shaker Inn in Pleasant Hill.
    Landbesetzer nannten manche der Einheimischen aus Shakertown sie. Andere Kommunisten oder Schlimmeres. Doch wieder andere – Menschen, die Maze seit ihrer Kindheit kannten und sie in Pleasant Hill hatten aufwachsen sehen – brachten ihnen Brot und Kuchen und halfen ihnen, das undichte Dach und die zerbrochenen Fenster zu reparieren.
    Vista wollte mit der ganzen Sache nichts zu tun haben und suchte sich eine Wohnung in Harrodsburg. Und Schwester Georgia beobachtete mit Staunen die bärtigen jungen Männer und die jungen Frauen in Bluejeans, die Harris’ alten Pick-up entluden und ihre Kisten und Koffer in das alte Gasthaus trugen.
    Es war der Sommer ihres zweiten Besuchs in Pleasant Hill, ein Monat, bevor sie nach Chicago ziehen würde, als Mary Elizabeth anfing, Dinge zu nehmen. Kleine Dinge, nichts besonders Wertvolles, doch Gegenstände, die sicherlich vermisst würden. Sie bewahrte sie in einem handgenähten Musselinbeutel auf, den sie im Herbst 1963 mit nach Chicago nahm. Ihr zweiter Aufenthalt in Pleasant Hill war kurz – nur ein Nachmittag. Mehr Zeit konnte sie vom Putzen und Aushelfen in Richmond nicht entbehren. Sie brauchte jeden Penny, den sie in diesem Sommer verdienen konnte, für ihren Umzug nach Chicago. Maze und Harris, Phil, Sarabeth und Daniel hatten sich bereits Zimmer im alten Shaker Inn eingerichtet und sich auf einem großen Feld hinter dem Haus ans Werk gemacht. Mary Elizabeth sah Daniel einen alten Handpflug schieben, während sie mit Maze und Schwester Georgia zu dem Pfad lief, der zum Holy Sinai’s Plain hinaufführte. Er blickte kurz auf und winkte zaghaft.
    Jeden Tag begleitete Maze Schwester Georgia zum Holy Sinai’s Plain. In dem Jahr, seit Mary Elizabeth sie zuletzt gesehen hatte, war sie gebrechlicher geworden. »Ich glaube nicht, dass sie es allein noch könnte«, sagte Maze, während sie der alten Frau bei ihrem täglichen Gottesdienst zusahen, den sie mit beträchtlich weniger Inbrunst als im vorangegangenen Sommer durchführte.
    »Was hält sie davon, dass ihr alle hier wohnt?«, fragte Mary Elizabeth.
    »Das weiß ich nicht genau.« Maze sah Mary Elizabeth von der Seite an und lächelte. »Ich schätze mal, dass du nicht mit uns hierhergezogen bist, macht dich in ihren Augen zum einzig noch verbliebenen reinen Menschen.«
    Mary Elizabeth stieß ein hohles Lachen aus, erwiderte Mazes Blick aber nicht.
    Warum sie denn nicht wenigstens den Sommer über bei ihnen wohnen wolle, hatte Maze im Mai gebohrt.
    »Maze, ich kann nicht«, hatte Mary Elizabeth gesagt. »Ich hab zu Hause zu viel zu tun.« Ihre Mama, immer noch im Farbigenheim

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