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Wie ein Fremder in der Nacht: Roman (German Edition)

Wie ein Fremder in der Nacht: Roman (German Edition)

Titel: Wie ein Fremder in der Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joyce Hinnefeld
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Küchengarten umpflügen und neu bepflanzen, Gemüse und Obst für den Winter einmachen. Vom Land leben oder zumindest von dem Stück, das noch auf Schwester Georgias Namen läuft.«
    An dieser Stelle behauptete sie etwas, was sie nicht so genau wusste. Es war nie ganz klar gewesen, wem eigentlich in Pleasant Hill was gehörte. Wenn Vista sie danach fragte, hatte Schwester Georgia immer nur geantwortet: »Das Land gehört Gott. Wir können es nicht besitzen.«
    Aber was sie sagte, spielte vermutlich ohnehin keine Rolle. Die anderen würden sie wohl kaum ernst nehmen.
    Und wie kam sie überhaupt auf solche abwegigen Einfälle? Wahrscheinlich wegen Schwester Georgia, wegen ihrer Geschichten über die frühen Shaker. Schon eine Weile lauschte Maze angestrengt nach der wahren Stimme von Mutter Ann. Eine Woche vorher hatte sie spätabends fröstelnd an einem Webstuhl in der Webhütte gesessen, während das Mondlicht durch das Fenster neben ihr hereinströmte, und da hatte sie die Idee gehabt: Sie könnten alle zurück nach Pleasant Hill gehen.
    Vista, das wusste Maze, hätte ihr hartes, wütendes Lachen ausgestoßen, wenn sie Maze an jenem Abend im Kaminzimmer gehört hätte. Maze konnte sich kaum an Tage erinnern, an denen ihre Mama nicht so gelacht hatte, an denen sie glücklicher gewirkt hatte, damals, als Maze noch sehr klein war. Ihre allerersten Jahre in den Bergen waren in ihrem Gedächtnis verschwommen, doch an die Monate, die sie in dem Tal bei Torchlight verbracht hatten, in dem Sommer, als Grandma Marthie starb, erinnerte sich Maze durchaus noch – damals hatte Vista tapfer versucht, dort ein Leben für sie aufzubauen. Doch selbst als Kind von vier oder fünf Jahren konnte Maze die Traurigkeit in Vistas Augen und ihren Mundwinkeln erkennen. Die Klauen der Einsamkeit gruben sich da schon tief in Vistas Herz.
    Das letzte Mal, dass Vista wirklich glücklich gewirkt hatte, war in ihrer ersten Zeit in Pleasant Hill gewesen, als sie noch bei den Taylors gewohnt hatten – mit all dem Geld und all der Jugend um sie herum. In jenen Tagen weckte sie Maze oft ganz früh, um auf eine Wiese hinter dem Diakonhaus zu spazieren, wo die Köpfe von Astern, Goldruten, Sonnenhut und anderen Wildblumen durch eine Decke von frühmorgendlichem Nebel ragten. Mochte auch ein langer Arbeitstag im Gasthaus vor ihr liegen, Vista tanzte durch die nasse Wiese wie ein junges Mädchen, während Maze hinter ihr her rannte.
    Aber das war nicht von Dauer. Binnen kurzem waren sie zurück in den Bergen, danach wohnten sie bei Schwester Georgia, und Vista brachte sämtliche wachen Stunden bei der Arbeit oder irgendeinem Kirchentreffen zu. Sie gab sich solche Mühe, sich in Harrodsburg einzufügen: der Kirchenbeirat und der Chor, die vielen Jobs hier und da, die geschiedenen und verwitweten Männer, von denen sie zum Essen in den Country Club eingeladen wurde. Ununterbrochen und beständig kämpfte sie gegen die Klaue in ihrem Herzen an.
    Doch im Gegensatz zu Vista selbst konnte Maze sehen, dass nichts davon funktionierte. Nichts konnte Vistas tiefe Einsamkeit lindern, die Enttäuschung hinter ihrem scharfen Lachen, in den Augenwinkeln. Vielleicht war es wirklich ihre Mama gewesen, die Maze zeigte, wie sie leben wollte und wie nicht .
    Was Maze nicht bemerkte, während sie an jenem Abend im Aufenthaltsraum sprach, war, dass die jungen Männer um sie herum aufhorchten und auf ihren Sitzen herumrutschten. Was sollte ein Mann denn auch tun, der 1963 in Kentucky mit Grundkenntnissen in Holzbearbeitung, einem Abschluss in Philosophie und sonst nicht viel mehr vom College abging, während auf einem anderen Kontinent ein rätselhafter Krieg begann und Atombomben auf ihrer aller Köpfe gerichtet waren?
    Dr. Wendt ergriff natürlich zuerst das Wort. »Aber haben die Shaker damals nicht ein Keuschheitsgelübde abgelegt oder so was in der Art – haben die nicht zölibatär gelebt? Ich dachte, deshalb sind sie überhaupt nur ausgestorben. Außer der Frau, um die Ihre Mutter sich kümmert, natürlich.« Er nickte Maze zu. Dr. Wendt hatte eine hübsche junge Frau und zwei kleine Kinder, das dritte unterwegs, und eine hohe Wertschätzung für das »Fleischliche«, wie er im Unterricht zur großen Verlegenheit der weiblichen Studienanfänger gern verkündete.
    Phil und Sarabeth – die, wie Maze wusste, seit kurzem miteinander schliefen – lehnten sich ernüchtert auf dem alten Sofa zurück, und Harris lachte und warf Maze einen Blick zu, bei dem sie errötete

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