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Wie ein Fremder in der Nacht: Roman (German Edition)

Wie ein Fremder in der Nacht: Roman (German Edition)

Titel: Wie ein Fremder in der Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joyce Hinnefeld
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Erinnerungen an eine alte Frau in altmodischen Bauernkleidern, an eine winzige Hütte und eine Holzveranda mit blau gestrichenem Fußboden, wo sie mit einer Porzellanpuppe ihrer Mutter gespielt hatte. Seitdem hatte sie die Puppe nicht mehr gesehen. Diese Großmutter war gestorben, als sie drei war, und danach waren sie nie wieder zu den heruntergekommenen Baracken in der Black Pool Road gefahren. Von da an besuchten sie nur Tante Paulie und ihre Großmutter Cox in Lexington, die beide tot waren, ehe Mary Elizabeth auf die Highschool kam.
    Immer noch standen sie an der Haustür, neben der Garderobe, an der sie ihre Mäntel aufgehängt hatten. Mary Elizabeth wollte sich nur noch irgendwo hinlegen und einschlafen.
    »Dein Opa hat ein Gewehr gekauft, nachdem sie das mit Robert gemacht hatten«, erzählte Clarisa jetzt. »Ich glaube, das war der Grund, warum dein Daddy deine Mama von dort fortbringen wollte, mindestens genauso wie ihre Traurigkeit.«
    Nun knipste sie eine Lampe auf einem Tischchen bei der Tür an und ging weiter ins Haus hinein. »Deshalb ist es wohl noch schlimmer als vorher zu sehen, was mit Sarah passiert ist. Obwohl dein Daddy sie weggebracht hat und sie ein schönes Haus bekommen hat und dich, trotz alledem wird sie immer noch von dieser Traurigkeit aufgefressen, Mary Elizabeth. Seit damals. Aber es ging ganz langsam vor sich. Es nagt langsam an ihr, wie ein alter Hund an einem vertrockneten Knochen.«
    Sie drehte sich um und sah Mary Elizabeth immer noch an der Wand neben der Haustür lehnen. »Alles in Ordnung?«, fragte sie.
    »Ich muss mich nur mal hinlegen.«
    Denk jetzt nicht daran, hörte Mary Elizabeth eine Stimme in ihrem Kopf sagen, als sie auf das Sofa in Clarisas Wohnzimmer sank. Wahrscheinlich war es ihre eigene Stimme, obwohl sie sich noch lange danach, als sie die Stimme – Denk nicht daran – weiterhin hörte, einredete, es wäre die ihres Daddys. Mitten in der Nacht wachte sie in eine Decke verwickelt und schwitzend auf. Das Erste, was ihr einfiel, war das Letzte, was Clarisa am Abend vorher zu ihr gesagt hatte: »Es nagt langsam an ihr, wie ein alter Hund an einem vertrockneten Knochen.« Ganz kurz blitzte etwas vor ihr auf, vielleicht etwas, das sie geträumt hatte: ein wütender Hund, nur Zentimeter von ihrem Gesicht entfernt, die Zähne gefletscht.
    Am nächsten Morgen kam ihr Daddy, um sie zurück nach Berea zu fahren. Eine Woche nach ihrer Rückkehr schickte sie die Bewerbung für das Stipendium an die Universität von Chicago ab – mit einem Empfehlungsschreiben von Dr. Wendt.
    Denk nicht daran, sagte sie sich, als sie sich an den wütenden Hund aus ihrem Traum erinnerte. Und dann fiel ihr die Passage aus Der Fremde wieder ein. Un flot de joie empoisonnée. Un flot de joie empoisonnée me montait au cœur. »Eine vergiftete Freude stieg in meinem Herzen auf.« Wer sah zu und wer starb bei jener Hinrichtung, als der Onkel, den sie nie gekannt hatte, umgebracht wurde?

Pilger und Fremde
    1963
    E s war Krieg, man sprach von Einberufung. Mary Elizabeth plante, nach Chicago zu ziehen – Maze hatte die Bewerbung Monate vorher auf ihrem Schreibtisch entdeckt. Vista behauptete, dass Schwester Georgia sie nicht brauche, und drohte, Pleasant Hill zu verlassen, weil sie einen geschiedenen Mann aus Harrodsburg kennengelernt hatte. (»Und du bist hier die brave Jungfrau?«, sagte Mary Elizabeth, als Maze ihre Missbilligung zum Ausdruck brachte.)
    Harris machte sich Sorgen um die Zukunft, nicht einmal das Tanzen heiterte ihn auf.
    Und sie, Maze, konnte keine hilfreichen Antworten in den Büchern finden, die man ihr zu lesen gab, oder in den Gottesdiensten, die sie zu besuchen hatte, nicht einmal in Pleasant Hill, wenn sie am Wochenende zu Besuch war und mit Schwester Georgia zum Holy Sinai’s Plain hinaufstieg. Irgendwie war der Wind auch aus Schwester Georgias Segeln gewichen.
    Und warum sollte Maze nun, inmitten all dessen, das College abschließen, nur um Lehrerin werden zu können? Was um alles in der Welt sollte sie irgendjemanden lehren?
    Also unterbreitete sie ihren Freunden eines Abends im Februar, als sie nach einem von Dr. Wendts Kamingesprächen noch gemütlich im Aufenthaltsraum saßen, eine Idee, die sie schon länger mit sich herumtrug.
    »Das ist mein Ernst«, sagte sie. »Wir könnten es machen. Wir könnten nach Pleasant Hill ziehen und uns um Schwester Georgia kümmern. Wir könnten wie die Shaker früher leben – ein paar Hühner und eine Kuh kaufen, den alten

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