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Wie ein Fremder in der Nacht: Roman (German Edition)

Wie ein Fremder in der Nacht: Roman (German Edition)

Titel: Wie ein Fremder in der Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joyce Hinnefeld
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ihrer sektseligen Feier im Shaker Inn zu Abend essen. Und am nächsten Morgen beim Frühstück erfuhr Vista, was am Vortag gefeiert worden war, als Russell verkündete, er und Nora würden Pleasant Hill verlassen und nach Philadelphia ziehen, wo er sich für seinen Vater mehrerer Geschäftsinteressen annehmen sollte.
    »Der Gasthof war nicht gerade ein Erfolg, wie Sie wissen, Vista.« Er sprach auf die altvertraute Art mit ihr – Herr zu Dienstbotin –, als hätte er keine Erinnerung an das, was am Tag zuvor vorgefallen war. »Wir bezahlen Sie bis zum Ende des Monats, damit Sie noch saubermachen und unsere Sachen packen können. Aber Sie werden sich jetzt nach einer anderen Arbeit umsehen müssen.«
    Dann räusperte er sich, und Vista hatte kurz Angst, er würde den Vorfall hinter der Bruderwerkstatt ansprechen. Doch er sagte nur: »Es wird höchste Zeit, dass ich Nora hier wegbringe. Sie hat sich hier in der Gegend nicht so gut gemacht, wie wir gehofft hatten.« Und damit stand er vom Tisch auf und ging.
    Als Vista später Russells Frühstücksgeschirr abräumte, überlegte sie, wer wohl das »Wir« war, das gehofft hatte, Nora würde sich in Pleasant Hill besser machen. Von Nora würde sie es nicht erfahren, denn sie kam den gesamten Tag nicht nach unten und sprach in den folgenden Tagen nur sehr kurz angebunden mit Vista, um ihr Anweisungen zu geben, was wohin zu packen war und was bleiben sollte. Nach drei Tagen Packen reiste sie nach Louisville ab, und Vista sah sie nie wieder.
    Russell blieb noch einige Tage länger als seine Frau, und was Vista am meisten überraschen würde, war, wie leicht es passierte – dass nach jenem einen Moment im Garten ein einziger flüchtiger Blick auf der Treppe ausreichte. Gerade noch war sie von Verachtung für diesen arroganten Mann erfüllt, der so kalt und herzlos in seinem Umgang mit anderen (einschließlich seiner Frau) und sich seiner höheren Position in der Welt so sicher war. Und einen Augenblick später, als er im halbdunklen Flur des ersten Stocks nach ihr griff, war sie bereit, auf die Knie zu gehen und jeden Zentimeter seines dünnen, drahtigen Körpers abzulecken, vor nichts haltzumachen. Sie lechzte praktisch danach, seine neue Bergarbeiterhure zu sein. Und wenn es auch nur war, um von ihm ebenfalls angefasst und abgeleckt zu werden für diesen kurzen Moment und um zu sehen, wie er seine selbstgefällige Gelassenheit ablegte und stöhnte und bebte. Sie beide waren in diesem drängenden Verlangen schwächer als sie sich jemals wieder gestatten würde, das schwor sich Vista jedes Mal.
    Und so ließ sie es drei Nächte lang geschehen, aus Gründen, die sie nicht ganz begreifen konnte. Sie spürte einfach einen unfassbaren Hunger, eine Sehnsucht, die sich wie Schmerz anfühlte. In der ersten Nacht drang er unbeholfen in sie ein und war so schnell fertig, dass sie am liebsten gelacht hätte. Hinterher kroch sie unter ihm hervor und ließ ihn tief und fest schlafend zurück, um sich in der Badewanne abzuschrubben und sich dann neben Maze ins Bett zu legen.
    Aber am nächsten Abend und am übernächsten trank er weniger, und er nahm sich mehr Zeit, und sie widmeten sich dem Körper des anderen mit einer Leidenschaft, die nichts mit Zuneigung oder Zärtlichkeit zu tun hatte. Sie ähnelte eher der Gier ausgehungerter Gefängnisinsassen, dachte Vista.
    Am zweiten Morgen fühlte sie sich elend, sie war wund von der vorangegangenen Nacht, aber auch aufgewühlt von dieser Begierde, die sie zugleich beschämte und verzückte. Während des Tages sprachen sie kaum miteinander. Vormittags verpackte er wertvolles Porzellan und Kristall in Kisten, und am Nachmittag erledigte er einige Angelegenheiten in Harrodsburg.
    In der dritten Nacht schlief keiner von beiden. Am nächsten Morgen lud er den Cadillac voll mit Kisten und verließ Pleasant Hill für immer. Und Vista hatte nur einen Gedanken, nämlich einen Weg zu finden, wie sie ebenfalls fortgehen könnte.
    Sie rief Shade Nixon an, aber nicht, um ihre alte Stelle zurückzubekommen. Sie fragte vielmehr, ob er unter Umständen Lust auf einen Besuch zu Hause in den Bergen hätte. Sie habe sich überlegt, sagte sie, dass sie und Maze ein Weilchen dort bleiben könnten. Und sie hörte nur einen ganz schwachen Hauch von Genugtuung in Shades Stimme, als er ihr sagte, wie leid es ihm tue, von der Schließung des Shaker Inn zu hören, und dass er sich bestimmt einen Tag freinehmen und sie und Maze nach Torchlight fahren könne.
    Grandma

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