Wie ein Hauch von Zauberblüten
wir die Straße erreicht haben, falle ich um wie ein nasser Sack.«
»Naß ist gut«, sagte Mooslachner und pappte wieder eine feuchte Binde auf die entzündeten Augen. »Wir werden mürbe Säcke sein, die wie Zunder zerfallen.«
Bei der vierten Rast an diesem Tag – sie lagen unter einer verdorrten Schirmakazie und hatten über das starre, gerippeähnliche Geäst ihre letzte Decke als Sonnenschutz gespannt –, bemerkte Oppermann, daß von Lubas Schulter durch ihre Bluse Blut sickerte.
Ehe sie ihn daran hindern konnte, hatte er die Bluse heruntergestreift und über ihre Brüste gezogen. Voll Entsetzen sah er, daß beide Schultern von den Hanfstricken, an denen die Wassersäcke gehangen hatten, in breiten Striemen aufgeschabt war. Das Fleisch quoll hervor, dunkelrot und entzündet.
Luba schloß die Augen und fiel mit der Stirn nach vorn gegen Oppermanns Brust.
»Wie – wie lange hast du das schon?« fragte er gepreßt.
»Schon nach dem ersten Tag …«
»Und warum hast du nichts gesagt?!«
»Wir müssen doch weiter … Ich muß doch auch Wasser tragen!«
»Du mußt doch vor Schmerzen schreien!«
»Ich kann nach innen schreien …«
»Man sollte sie übers Knie legen und ihr den Arsch vermöbeln!« sagte Pater Mooslachner.
Auch er starrte entsetzt auf ihre aufgerissenen Schultern. »Was nun, Doktor?«
»Ich kann nur kühlen und verbinden.«
»Verbinden? Womit?«
»Hiermit!« Oppermann riß den Ärmel seines Hemdes heraus und hielt ihn Mooslachner hin. »Schneiden Sie Streifen daraus. Und Ihre Soutane ist viel zu lang, Pater! Es genügt, wenn sie Ihnen bis zu den Knien reicht! Aus dem Stoff kann man sehr gute Bandagen machen!«
Mooslachner blickte an sich herunter, bückte sich ächzend, hob die aufgeknöpfte Soutane hoch und befühlte den Stoff. »Ihre Idee ist vorzüglich, Doktor«, sagte er. »Gott hat keine Kleiderordnung gemacht! Ein Priester bleibt auch im Hemd ein Priester!«
Er zog die Soutane aus, nahm ein Messer und die Säge und säbelte mit ihnen die Hälfte des Gewandes herunter. Den Stoff zerteilte er in Streifen und klopfte von ihnen den Staub ab.
»Du wirst nichts mehr tragen!« sagte Oppermann zu Luba. Sie saß unter der ausgespannten Decke, kaute an einem Stück Holz und biß fest darauf, als Oppermann ihre Schultern mit einem nassen Läppchen berührte, um das rohe Fleisch notdürftig von Sand und Staub zu reinigen.
»Wir müssen das Wasser behalten«, sagte sie kaum verständlich, weil sie das Holzstück noch zwischen den Zähnen hielt. »Ihr könnt nicht alles tragen!«
»Du hältst das keinen Tag mehr aus!«
Sie schüttelte den Kopf, biß auf das Holz, daß es knirschte und hielt den Atem an, als Oppermann die breiten Wunden mit den nassen Stoffetzen belegte, die er aus seinem Hemdärmel gerissen hatte. Mooslachner durchtränkte die Streifen aus seiner Soutane mit Wasser und reichte sie Oppermann. Noch während er Luba verband, sank ihr Kopf schwer gegen seine Brust, er fing ihren schmalen Körper auf und umarmte sie. Mooslachner kniete hinter ihr, zog sie zurück und hielt sie fest, damit Oppermann sie fertig verbinden konnte. Luba war ohnmächtig geworden.
»Sehen wir es ganz nüchtern«, sagte Mooslachner, nachdem Oppermann noch Lubas Gesicht gewaschen hatte. »Die Sonne wird den kühlenden Verband bald aufsaugen. Dann wird der Stoff hart wie ein Brett. Statt zu lindern, wird er nur noch mehr scheuern.«
»Das weiß ich. Wir müssen ihn eben immer feucht halten.«
»Das kostet Wasser.«
»Ich verzichte auf meinen Becher.«
»Glauben Sie Hornochse vielleicht, ich saufe Ihren Anteil mit?! Natürlich verzichte ich auch! Aber es ist abzusehen, wann das Wasser knapp wird.«
»Bis dahin müssen wir an der Straße sein.« Oppermann blickte hinüber zu dem hitzeschwankenden Horizont. »Irgendwann müssen wir sie doch erreichen!«
»Irgendwann ist ein dehnbarer Begriff. Ich habe keine Ahnung, wieviel Kilometer wir am Tag überhaupt zurücklegen. Wir denken, wir laufen – und dabei schleichen wir vielleicht nur. Diese Weite entwertet alle Maßstäbe. Und überall sieht das Land aus, als gingen wir im Kreis.« Mooslachner hob beide Hände. »Nun raufen Sie sich nicht den Bart, Doktor. Natürlich marschieren wir geradeaus! Das sehen Sie ja an der Sonne. Vier Tage und vier Nächte sind wir unterwegs. Seien wir großzügig; da können wir einhundertzwanzig Kilometer geschafft haben. Das wäre noch nicht einmal die Hälfte! Und es geht immer langsamer …«
»Noch vier Tage?«
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