Wie ein Hauch von Zauberblüten
Oppermann beugte sich vor, streichelte der jungen Frau über das kurze Kraushaar und lächelte ihr zu. Sie lächelte scheu zurück, bedeckte mit gespreizten Fingern ihr Gesicht und schämte sich. Ein weißer Mann streichelte sie. Wenn das Molongo sehen könnte. Er würde sie sofort in die Hütte zerren. Nur ihm gehörte sie. Es war ein merkwürdiges Gefühl, von einem weißen Mann gestreichelt zu werden. Sie spürte es zwischen den Schenkeln.
»Was soll ich ihr sagen?« fragte Urulele.
»Sag ihr, daß ich ihrem Kind helfen will, so gut ich es kann. Und sie soll den anderen erklären, daß es gut für sie ist, wenn ich alle Kranken untersuchen kann.«
»Das wird sie nicht tun.«
»Und warum?«
»Sie ist ihrem Stamm weggelaufen. Man wird sie verachten.«
»Und mit solchen Ansichten wollt ihr ein eigener, anerkannter Staat werden mit Sitz in der UNO und allem politischen Pipapo?!«
»Auch bei den Weißen ist so was möglich!« sagte Urulele ernst.
»Kaum. Ein Beispiel?«
»Südamerika.« Urulele grinste verlegen, wie um Verzeihung bittend, daß er jetzt dem Doktor verriet, wie vorzüglich die politische Schulung funktionierte. »Gibt es dort nicht auch noch wilde Indianer? Aber die Staaten sind anerkannt. Sie vernichten sogar die Indianer, und kaum jemand sagt etwas darüber. Bei uns in Namibia wird niemand vernichtet. Wir wollen Leben für alle.«
»Und treibt die Kranken in den Tod, wie früher die Pestkranken oder die Leprösen.« Dr. Oppermann zeigte auf die junge Ovambofrau, die ihn voll Hoffnung anstrahlte. »Sag ihr, sie soll mir ihr Kind zeigen.«
»Gib das Kind dem Doktor!« übersetzte Urulele und streckte beide Hände aus.
Sie wickelte das große Tuch auf, legte den Säugling frei und reichte ihn an Urulele weiter. Das kleine, knochige, unterernährte Körperchen war nackt, der Bauch etwas aufgetrieben, die Gliedmaßen rachitisch. Als spüre der Kleine die fremde Hand, die verlorene Wärme der mütterlichen Brüste, wachte er auf, hob den winzigen Kopf und sah Dr. Oppermann aus eiterverschmierten Augen an. Die Linse des linken Auges war bereits milchig-trüb, von den Bakterien zerstört. Blind.
Während Oppermann das Kind auf sein Bett legte und den ganzen Körper abtastete, eine Verhärtung der Leber und eine geschwollene Milz feststellte, holte Marcus-Tomba aus dem Vorzelt das Instrumentarium und die Glasschalen für die Präparate. Das Kind war erstaunlich ruhig, begann nicht einmal zu schreien, als Oppermann den Eiter von den Augen tupfte und schlug auch nicht mit den Ärmchen um sich, als er mit einer feinen Pinzette Gewebeproben aus den aufgetriebenen Augenhöhlen zupfte.
Mehr als die Augen zu reinigen und mit einem Antibiotikum einzuträufeln, konnte er nicht tun. Er wußte, daß es nicht half, aber er wehrte sich dagegen, vor der Krankheit die Hände in den Schoß zu legen.
Urulele verband die Augen, nachdem er dicke, mit Salbe eingeschmierte Mullkompressen darauf gelegt hatte. Jetzt erst schrie das Kind, fuchtelte mit den Armen und suchte seine Mutter.
Marcus-Tomba nickte ihr zu. Die junge Ovambo zog den Kleinen an sich, hob eine ihrer vollen Brüste aus dem Tuch und drückte den Mund des Kindes an die pralle Warze. Gierig schnappte das Mündchen zu, saugte sich fest, und der schmale, faltige Hals begann zu schlucken. Mit der freien Hand streichelte die junge Frau über den Kopf des Kindes, über den dicken Augenverband, über das dürre Körperchen. Dann sah sie Dr. Oppermann dankbar an und lächelte breit.
»Sie glaubt, ich habe es gesund gemacht«, sagte Oppermann heiser.
»Ja …«
»Du mußt sie aufklären, Marcus. Wenn sie unvorbereitet sieht, daß es nichts geholfen hat, verliert sie den Glauben auch an uns weiße Ärzte. Sag ihr, daß der Kleine keine Augen mehr hat. Es sind nur noch leblose Kugeln.«
»Ich werde es ihr sagen.« Er packte die Instrumente in eine Schüssel. Am Morgen würden sie im Sterilkocher wieder keimfrei gemacht werden. »Wo sollen wir mit ihr hin?«
»Sie kann im Vorzelt neben der Küchenkiste schlafen.«
Urulele nickte. Er winkte der Frau. Sie erhob sich und ging, das Kind säugend, hinaus. Ihre Haltung war stolz, ihr Gang lautlos und federnd. So überwinden sie Hunderte von Kilometern, dachte Oppermann. Sie laufen wie eine Gazelle, als sei die Erde ein Schleuderbrett.
Draußen im Vorzelt hörte er Urulele leise sprechen, dazwischen klang die helle Stimme der jungen Ovambo. Was wird morgen früh sein, dachte Oppermann. Man wird die Frau
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