Wie ein Hauch von Zauberblüten
sich drüben im Kral die Kranken auf, als formierten sie sich zu einem Vorbeimarsch. Bei der Mumie herrschte Zucht, das sah man sofort: In Zweierreihen warteten sie auf das Kommando. Vorweg einige Männer, dann die Frauen mit den Kindern. Es waren mehr, als Dr. Oppermann geahnt hatte. Er staunte, wieviel Leute in den kleinen Rundhütten Platz hatten.
Als alles stand und wartete, kam der Häuptling aus seiner Hütte und stellte sich an die Spitze. Auch er trug einen europäischen Anzug, mittelbraun, die Jacke war ihm viel zu weit geworden. Der Marsch in die Verbannung, die Suche nach einer neuen Heimat hatten auch an ihm gezehrt.
Ganz zuletzt erschien die Mumie, begleitet von zwei jungen Ovambos, die schwere Kisten schleppten. Ohne Zweifel enthielten sie alle Utensilien des Medizinmannes – seine tragbare Klinik.
Dr. Oppermann hatte mit Urulele alles unter dem Vorzelt aufgebaut, was man brauchen würde. Die Kisten mit dem Verbandsmaterial, den Medikamenten und dem Labor waren aufgeklappt. Injektionsspritzen lagen bereit. Die Behälter für die Präparate und Abstriche standen auf einem anderen Tisch. Daneben glänzte in der Sonne ein Mikroskop mit vierfachem Objektivrevolver. Der Projektionsspiegel war noch heruntergeklappt. Er warf das Sonnenlicht zurück und blendete. Davor lagen auf einem weißen Tuch, aufgereiht und ausgerichtet, die gläsernen Objektträger. Es sah alles sehr wissenschaftlich und imponierend aus. Vor allem die blitzenden Instrumente sollten die Ovambos beeindrucken. Obwohl er es nicht brauchen würde, hatte Oppermann das gesamte chirurgische Besteck aufgebaut, griffbereit wie zu einer Operation: Zangen, Pinzetten, Klammern, Nadelhalter, Messer, Skalpelle, scharfe Löffel, Knochenhaken, Raspatorium, Cooper-Schere, Kornzange, Elevatorium, Deschamps, Kocherklemmen, Stieltupfer, eine Knochensäge und vor allem – sehr attraktiv – das große Amputationsmesser. Einige Sonden ergänzten das Instrumentarium.
Hinter diesem Tisch hatte sich Dr. Oppermann ›verschanzt‹. In einem verchromten Kasten lagen die dünnen Gummihandschuhe. Urulele hatte noch ein übriges getan: Er trug über seinem Buschanzug den weißen Laborkittel. Wer ihn so sah, weiß gekleidet, mit poliertem, kahlem Schädel und bedeutsamem Blick, empfand sofort Hochachtung und würde nie auf den Gedanken kommen, sich gegen seine Maßnahmen zu wehren. Das hatte er in Outjo oft praktiziert: alle Patienten waren, wenn er sie zu Dr. Oppermann weiterschickte, bereits vor Ehrfurcht entnervt.
Der Schrumpfkopf humpelte vier Schritte voraus. Ihm folgten die beiden Kistenträger.
Erst dann, wieder sechs Schritte zurück, schlurfte die Kolonne der Kranken heran.
»Das sieht ja sehr bedeutend aus!« sagte die Mumie, als sie das Vorzelt erreicht hatte. »Sir, Sie sind der hinterlistigste und gemeinste Kerl, den ich kenne. Damit machen Sie mich kaputt! Dieser Aufwand an Sterilität und ärztlicher Prachtentfaltung! Da kann ich mit meinen Tierknochen nicht konkurrieren.« Er warf einen Blick auf den weißgekleideten Urulele, schob die Unterlippe verächtlich vor und sagte auf bantu: »Verräter!« Urulele erbleichte, wurde ganz grau im Gesicht und massierte seine Glatze.
Der Alte zeigte auf die beiden jungen Ovambos, die die Kisten abgesetzt hatten.
»Darf ich Ihnen meine Famuli vorstellen, Sir? Ich habe mir erlaubt, sie mitzubringen. Um den Nachwuchs ist es schlecht bestellt, wie überall!«
»Selbstverständlich können sie bei mir hospitieren.« Dr. Oppermann betrachtete die beiden. Voll Ehrfurcht starrten sie auf den Instrumententisch, auf das Mikroskop, auf die Reihe der gläsernen Objektschalen. So etwas hatten sie noch nie gesehen. Dort, wo sie herkamen, oben im Nordwesten, am Rande der Ehombo-Berge, gab es keine Ärzte. Da half die Natur und die Erfahrung von Jahrhunderten. Da wußten die Alten Mittel aus Wurzeln und Pflanzen, und wenn innen im Körper etwas Fremdes wuchs und dann zerplatzte, dann war es Schicksal. Vielleicht kam mal ein Arzt mit dem Flugzeug zu ihnen, ein Regierungsmediziner, der Reihenuntersuchungen anstellte, gegen Seuchen spritzte, ein paar Tage blieb und dann einen Bericht schrieb über die mangelhafte Versorgung der Eingeborenen. Das war alles.
Die Kolonne der Kranken hatte das Vorzelt erreicht und hielt an. Der Häuptling kam zu Dr. Oppermann, jovial lächelnd, ein älterer Mann mit einem großen Kugelkopf und klugen Augen. Auch er sprach englisch, aber nicht so flüssig wie die Mumie.
»Ich grüße dich!«
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