Wie ein Hauch von Zauberblüten
aber unsere Feierstunde nicht belasten!«
Der Angriff hatte begonnen. Dr. Oppermann sah in die Gesichter. Die meisten grinsten hämisch. Er grinste zurück und dachte bitter: Ihr Arschlöcher! Von einem Prusius laßt ihr euch aufhetzen! Denkt ihr wirklich so wie der? Sie, Herr Apotheker? Oder Sie, Herr Bäckermeister? Oder Sie, Herr Optiker? Oder Sie, Herr Direktor von der Maschinenfabrik? Und Sie, Herr Bauingenieur?
»Ich weiß nicht, ob Herr Dr. Oppermann weiß, welch großen Tag wir heute feiern!« rief hinter ihm Prusius mit Fanfarenstimme.
»Nein!« antwortete Oppermann laut.
»Wir feiern heute den 22. Juni!« schrie Prusius mit Begeisterung. »Sagt Ihnen das gar nichts?«
»Ich habe mich nie um die Geburtstage großer Persönlichkeiten gekümmert.«
»Dieser Tag sollte aber in das Bewußtsein jedes Deutschen eingebrannt sein!« trompetete Prusius. »Es war der Beginn eines Heldenkampfes, den wir nur verloren, weil Verrat und Dummheit uns ausgehöhlt haben! Das wollen wir nie vergessen! Heute weiß die ganze freie Welt, daß man in blindem Haß den Falschen vernichtet hat! Alles, was heute die Welt erschüttert, hätte es nie gegeben, wenn man uns damals freie Hand gelassen hätte! Herr Dr. Oppermann: Am 22. Juni 1941 sind unsere Divisionen in Rußland einmarschiert!«
»Du lieber Himmel!« sagte Dr. Oppermann laut.
»Ja! Du lieber Himmel! Auch da sähe es anders aus!« schrie Prusius. Auf seinen Wink tönte aus zwei Lautsprechern an der Wand leise Marschmusik. Seine Hände griffen nach einem Blatt Papier, seine Stimme zitterte vor Ergriffenheit. »Am 22. Juni 1941 verkündete Reichspropagandaminister Dr. Joseph Goebbels die Botschaft des Führers an das deutsche Volk. Ich wiederhole sie und bitte Sie, liebe Freunde, sich von den Plätzen zu erheben!«
Füße und Stühle scharrten. Die Männer und Frauen standen auf, mit ernsten Gesichtern und bewegtem Blick. Dr. Oppermann blieb sitzen. Das war sein Gegenschlag, und er wurde verstanden. Prusius' mächtige Stimme übertönte die Marschmusik, es war ein wirkungsvolles Melodram:
»Deutsches Volk!
In diesem Augenblick vollzieht sich ein Aufmarsch, der in Ausdehnung und Umfang der größte ist, den die Welt bisher gesehen hat. Im Verein mit finnischen Kameraden stehen die Kämpfer des Sieges von Narvik am nördlichen Eismeer. Deutsche Divisionen unter dem Befehl des Eroberers von Norwegen schützen gemeinsam mit den finnischen Freiheitshelden unter ihrem Marschall den finnischen Boden. Von Ostpreußen bis zu den Karpaten reichen die Formationen der deutschen Ostfront. An den Ufern des Prud , am Unterlauf der Donau bis zu den Gestaden des Schwarzen Meeres vereinen sich unter dem Staatschef Antonescu deutsche und rumänische Soldaten. Die Aufgabe dieser Front ist daher nicht mehr der Schutz einzelner Länder, sondern die Sicherung Europas und damit die Rettung aller …«
Prusius schwieg einen Moment. Dr. Oppermann spürte seinen Blick im Nacken. Aber er blieb sitzen. Wenn ich aufstehe, gehe ich, dachte er. Aber das wäre nun wirklich Feigheit. Sie wollen mich fertigmachen auf diese Art. Dem Arzt können sie nicht beikommen – aber nun versuchen sie, mich als undeutsch, als linken Verräter zu verteufeln. Seht ihn euch an, den Kommunisten, den roten Hund, den Moskautreuen! Er steht nicht auf! An einem solchen Jahrestag versagt er den deutschen Soldaten die Ehrung. Was kann man von dieser Generation anderes erwarten als Chaos und Untergang?!
Noch ist der Abend nicht zu Ende, dachte Dr. Oppermann. Er blieb sitzen.
Prusius wartete. Aus den Lautsprechern klang leise eine andere Musik zur Untermalung: das Landserlied ›Vom Nordkap bis zum Schwarzen Meer‹.
»Wer damals noch glaubte«, posaunte Prusius, »daß man mit den Roten hätte verhandeln können, statt sie zu vernichten, der hörte später dem Führer zu, als er am 3. Oktober 1941 in einer Reichstagsrede die erste Bilanz zog und vor der Weltgeschichte sein Bekenntnis ablegte.« Er griff nach einem zweiten Blatt Papier, straffte sich und atmete tief durch. Dann las er mit Pathos vor:
»Ich habe deshalb hier auch in dem Augenblick noch geschwiegen, in dem ich mich endgültig entschloß, nunmehr selber den ersten Schritt zu tun, denn, wenn ich schon einmal seh' , daß ein Gegner das Gewehr allmählich anlegt, dann werde ich nicht warten, bis er abzieht, sondern dann bin ich entschlossen, lieber selber vorher abzuziehen!
Es war, das darf ich heute hier aussprechen, der schwerste Entschluß meines
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