Wie ein Hauch von Zauberblüten
ganzen bisherigen Lebens, denn jeder solche Schritt öffnet ein Tor, hinter dem sich nur Geheimnisse verbergen. Erst die Nachwelt weiß ganz genau, wie es kam und was geschah. So kann man nur sich mit seinem inneren Gewissen abfinden und dann das Vertrauen auf sein Volk, auf die selbstgeschmiedeten Waffen stärken und dann, das, was ich vorher sagte, den Herrgott bitten. Nicht, daß er einem hilft, noch die Unterstützung des Nichtstuns, sondern daß er dem den Sieg gibt, der selbst bereit und gewillt ist, heilig und opfervoll für sein Dasein zu kämpfen! Am 22. Juni morgens setzte nun dieser größte Kampf der Weltgeschichte ein. Seitdem sind etwas über dreieinhalb Monate vergangen, und ich darf hier zunächst eine Feststellung treffen: Es ist alles seitdem planmäßig verlaufen …«
Prusius schwieg, die Musik verstummte. Die Männer und Frauen standen an ihren Tischen und starrten vor sich hin. Auch Dr. Oppermann mußte zugeben, daß die damalige Sprache von einer satanischen Wirkung auf Seelen und Gemüter der Menschen gewesen war. Wie sagte Hitler: Erst die Nachwelt weiß ganz genau, wie es kam und was geschah … Und die Nachwelt war er, Jahrgang 1948, ein Jahrgang, der großenteils noch in Trümmern aufgewachsen war, und der, als er die Ruinen wahrnahm, auch wissen wollte, wie es dazu gekommen war.
Hinter ihm schnaufte Prusius. Dr. Oppermann erhob sich langsam von seinem Stuhl, schob ihn zurück und sagte laut in die erwartungsvolle Stille:
»Die Nachwelt weiß genau, was geschah: Der Krieg hat 55 Millionen Tote gekostet! Die deutschen Städte waren Trümmerhaufen! Noch nie lag ein Volk so auf der Schnauze wie wir! Wie aber – Herr Prusius hat es vorgelesen – wie sagte Hitler: Es ist alles planmäßig verlaufen!«
»Sie verstehen nichts!« sagte Prusius hinter ihm kalt. »Was damals gesagt wurde, ist eine Parallele zu heute, gilt jetzt und hier für Südwest: Wenn ich schon einmal seh', daß ein Gegner das Gewehr allmählich anlegt, dann werde ich nicht warten, bis er abzieht, sondern dann bin ich entschlossen, lieber selber vorher abzuziehen! – Das ist unsere Situation heute in diesem Land! Die schwarzen Banden sickern in unser Land, und wir sollen schön ruhig halten, uns nicht wehren, sondern uns abschlachten lassen zum Ruhme der UNO und für das ruhige Gewissen eines erbärmlich feig gewordenen Deutschland! Und Sie, Dr. Oppermann« – Prusius' Stimme klang schrill – »helfen mit, daß man uns, die wir dieses Afrika erst lebensfähig gemacht haben, mit aller Hinterlist ermordet und von der Scholle treibt! In Deutschland redet man vom Heimatrecht der Ostpreußen, Egerländer und Schlesier. Das hier, dieses herrliche Südwest, ist unsere Heimat, und hier haben wir ein Heimatrecht! Und das werden wir verteidigen, mit der Waffe in der Hand! Heilig und opfervoll für unser Dasein kämpfen – das werden wir! – Verstehen Sie das, Herr Dr. Oppermann?«
Prusius warf beide Arme empor. Aus den Lautsprechern erklang jetzt laut die deutsche Hymne. Die Männer und Frauen im Saal sangen mit. Dr. Oppermann zog die Schultern hoch und ging, an den singenden Menschen vorbei, hinaus. Er wußte, daß er diese Schlacht verloren hatte. Gegen das Argument des Überlebens gab es keine Erwiderung.
Draußen, im Schankraum, blieb er stehen, sah den Wirt an, schüttelte den Kopf und verließ das Hotel ›Deutsches Haus‹. Warum begreifen sie nicht, dachte er voll Bitterkeit, daß ich Arzt bin? Und die Krankheit in einer schwarzen Haut nicht anders ist als in einer weißen?
Warum begreifen sie nicht, daß es für mich nur Menschen gibt, keine Völker und keine Rassen?
Und dann, auf dem Weg zu seinem Wagen, begriff er es plötzlich, warum die anderen es nicht begreifen wollten: Sie hatten Angst. Sie lebten täglich mit der Angst. Und diese Angst wuchs und wuchs …
Wo aber Angst herrscht, verkriecht sich die Vernunft.
Dr. Oppermann blieb stehen, drehte sich um und blickte auf die erleuchteten Fenster des Saales. Es drängte ihn, zurückzukehren zu diesen angstgeschüttelten Menschen.
Sie taten ihm leid, und er verzieh ihnen die Falle, in die sie ihn gelockt hatten.
Wie Jack Bostel es schon angedeutet hatte: es ging jetzt um einen realen Verwaltungsakt. Niemand erklärte sich für zuständig, die weitere Sorge für die zweihundert kranken Ovambos zu übernehmen.
Die Hospitäler waren überfüllt und sahen sich nicht in der Lage, einen solchen Massenansturm an stationär zu versorgenden Kranken aufzunehmen. Das
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