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Wie ein Haus aus Karten

Wie ein Haus aus Karten

Titel: Wie ein Haus aus Karten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristin Feireiss
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es mit der Firma wirtschaftlich bergauf geht, das Versäumte nachholen. Nur wir beiden Jüngsten, Johannes und ich, dürfen ohne Umwege Abitur machen und studieren.
    In der Zeit ihrer größten Niederlage und Niedergeschlagenheit lernt meine Schwester Uschi ihren späteren Mann, Jochen Homm, kennen. Der Lehrling in der Installationsfirma seines Vaters taucht eines Tages in der Baracke auf, um einen Wasserschaden zu beheben. Damals ist meine Schwester Uschi gerade siebzehn Jahre alt und sehnt sich nach einem eigenen Zuhause. Heiraten können beide aber erst neun Jahre später. Der Bräutigam nimmt seine Auserwählte, als er um deren Hand anhält, von seinem zukünftigen Schwiegervater Necko mit den Worten in Empfang: »Diese Ware ist vom Umtausch ausgeschlossen.« Ein Satz, den alle Schwiegersöhne und auch mein erster Mann bei der gleichen Gelegenheit Jahre später zu hören bekommen. Statt mit einem Lächeln reagiert mein Freier mit so heftigem Nasenbluten, dass Annemi um ihr Brokatsofa fürchtet.
    Noch aber geht es um die Ausbildung meiner Schwester Uschi. Necko erklärt seiner Pflegetochter mit den zwei linken Händen, die eher die Ungeschicklichkeit Dornröschens mit der Spindel als das Können des tapferen Schneiderleins besitzt, dass die Meisterprüfung die Voraussetzung dafür sei, später einen der Betriebe ihres Vaters, die »Textilunion Bekleidungswerke«, zu übernehmen. Es ist ein verlockendes Angebot. Meine Schwester willigt ein, unterzieht sich der ungeliebten Ausbildung und macht ihre Prüfung als Schneidermeisterin mit Auszeichnung.
    Da Meisterprüfungen damals nicht vor dem fünfundzwanzigsten Lebensjahr abgelegt werden können, Uschi aber erst vierundzwanzig ist, schreibt Necko an den »sehr verehrten Herrn Präsidenten Dr. Zorn« vom Wirtschaftsministerium, um von ihm eine Sondergenehmigung für seine Pflegetochter zu erwirken: »Die Semester-Abschlusszeugnisse im Februar und Juli 1952 der Deutschen Meisterschule für Mode in München bestätigen eindeutig, dass ihre [Uschis] Leistungen nicht nur wesentlich über dem Durchschnitt liegen, sondern auch zu den besten zählen. An dieser Stelle muss ich einflechten, dass ich nach dem Tode von Dr. Hans Lang einen im Aufbau befindlichen Bekleidungsbetrieb vorfand, dessen Besitzverhältnisse in keiner Weise, wie Ihnen ja sicher noch aus meinen Berichten erinnerlich ist, geklärt waren. Ich habe mich dieses, von mir sofort nach Darmstadt in Verbindung mit einer Verkaufsstelle verlegten Betriebes angenommen und nach Überwindung immenser Schwierigkeiten, nach Einigung mit dem Vormundschaftsgericht und nach Ausschaltung eines Gesellschafters erreicht, ihn zu einem für mein Haus in Frankfurt am Main arbeitendes Fabrikationsunternehmen mit bis zu 350 Angestellten und Arbeitern zu entwickeln. Hiermit glaube ich am besten begründen zu können, was mich veranlasst hat, Uschi in die Laufbahn einer Modedirektrice zu drängen und um eheste Beendigung ihrer Ausbildung bemüht zu sein.«
    Dieser Brief ist in zweierlei Hinsicht aufschlussreich. Er bestätigt die Übernahme einer Firma meines Vaters durch meinen Pflegevater, auch wenn in dem Schreiben der Eindruck erweckt wird, es habe sich um ein kleines Unternehmen gehandelt. Der Text bestätigt aber auch die begründete Hoffnung meiner Schwester, nach erfolgreich bestandener Meisterprüfung diesen Betrieb ihres verstorbenen Vaters übernehmen zu können. Dazu ist es nicht gekommen. Durch Zufall erfährt Uschi, und zwar nicht von ihrem Pflegevater, dass dieser die »Textilunion Bekleidungswerke« bereits verkauft hat. Meine Schwester Uschi vermeidet eine offene Auseinandersetzung. Sie hat danach nie wieder eine Nähnadel in die Hand genommen. Als junges Mädchen habe ich mich darüber gewundert, sie ist doch schließlich Schneidermeisterin. Bis zum Tod der Pflegeeltern ordnet sie sich ihnen unter und bleibt abhängig von deren Zustimmung und Zuwendung.
    Meine Schwester Juli, die vom ersten Tag in der neuen Familie an gutmütig und gutwillig vor allem das Herz der Pflegemutter erobern möchte, was ihr aber nicht dauerhaft gelingt, scheint sich mit den neuen Verhältnissen kindlich-pragmatisch zu arrangieren, so wie sie es schon früher bei den eigenen Eltern getan hat. Das weitere Leben meiner Schwester Juli macht deutlich, dass sie ihr Zuhause nicht finden wird und nirgendwo Wurzeln schlagen kann. Mich, die Jüngste, nimmt meine Großmutter Neckermann mit, als sie bereits nach einem Jahr die Baracke in Oberursel

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