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Wie ein Haus aus Karten

Wie ein Haus aus Karten

Titel: Wie ein Haus aus Karten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristin Feireiss
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zu ihren Bemühungen werden die des neuen Hausbewohners, seine Position zu behaupten, von Erfolg gekrönt, als er sich den sichersten Platz im Haus erobert: den Schoß meiner Großmutter. Meckis überstürzter Einzug in unseren Drei-Frauen-Haushalt findet am 27. August 1954 statt. Ich habe es in meinem Tagebuch als »einmaliges Ereignis« vermerkt.
    Dass die mit der Zeit harmonische Vierecksbeziehung zwischen meiner Großmutter, Käthe, Mecki und mir schon bald ein jähes Ende finden wird, ahne ich bei meiner Tagebucheintragung nicht. Nach einer schweren Erkrankung meiner Großmutter muss ich Würzburg mit dreizehn Jahren verlassen. Dackel Mecki bleibt bei meiner Großmutter und wird ihr treuester Gefährte. Erst nach ihrem Tod kommt mein Hund zu mir zurück. Zu dieser Zeit bin ich zum ersten Mal verheiratet. Als ich ein Praktikum bei der »Frankfurter Neuen Presse« mache, weil ich Journalistin werden möchte, liegt Mecki, inzwischen betagt und meistens schlafend, in einem Körbchen unter meinem Tisch in der Lokalredaktion. Alle lieben ihn. Eines Morgens ist sein Körbchen leer. Mein Dackel Mecki bekommt den schönsten Nachruf, der je für einen Hund geschrieben worden ist. Der Ressortleiter Richard Kirn hat Mecki seine tägliche Kolumne gewidmet. Dieser legendäre rasende Reporter, raubeinig, energiegeladen und dabei spindeldürr, hat Dackel Mecki also auch geliebt.
    *
    In den Würzburger Jahren bin ich kein kompliziertes Kind. Den Tod meiner Eltern und meines Bruders, meine schwere Krankheit, die Trennung von meinen Geschwistern, all das habe ich hinter mir gelassen und vieles verdrängt. Ich habe meine Großmutter, ich darf Ballett tanzen, ich habe einen Hund und den aufregendsten Spielplatz der Welt. Das Leben ist schön und voller Abenteuer.
    Der Spielplatz meiner Kindheit ist das Kohlen- und Brennholzlager, das, durch eine Mauer getrennt, direkt hinter unserem Gartenhaus beginnt. Meine Spielgefährten und ich schichten dort aus Holzscheiten Türme auf, die wir, mein Freund Rudi und sein Bruder Günter, meine Cousine Marlene und mein Cousin Peter, anschließend bewohnen. Als eines dieser fragilen Gebilde einstürzt und mich vorübergehend unter sich begräbt, wird uns der Aufenthalt im Kohlenlager verboten. Wir halten uns nicht daran. Die Faszination ist viel zu groß. Das liegt nicht nur an den nahezu unerschöpflichen Spiel- und Versteckmöglichkeiten, sondern auch an dem »alten Lingel«, wie wir den ehemaligen Kohlenarbeiter respektlos nennen, der auf dem Gelände eine kleine Hütte bewohnt. Meine Großmutter hat gegen die Einwände ihrer Schwiegertochter Else durchgesetzt, dass der inzwischen gebrechliche Mann ein Gehalt bezieht und bis zu seinem Tod im Kohlenlager wohnen bleiben darf. Wir Kinder spielen ihm Streiche, doch er beachtet uns kaum. Wenn es ihm zu viel wird, verscheucht uns der alte, mürrische Mann wie lästige Fliegen, indem er Holzscheite nach uns wirft. Als wir ihn eine Weile nicht mehr sehen, beginnen wir ihn zu vermissen. Schließlich lässt mein Onkel Walter die Tür zu seiner Hütte öffnen. Da ist er schon einige Tage tot. Versteckt hinter einem Holzstoß, spüre ich beim Anblick der bereits in Verwesung übergegangenen Leiche etwas von der Trostlosigkeit des Todes. Später finden wir Stöße von Pornoheften in der Mülltonne neben seiner Hütte. Es ist ein verbotener Blick in eine ebenso aufregende wie unbekannte Welt.
    Der beste Freund meiner Großmutter in diesen Jahren ist der ihr treu ergebene Josef Pfeiffer, genannt Jopi, obwohl ihm eine solche Verstümmelung seines Namens nicht gerecht wird. Jopi Pfeiffer, ein entfernter Verwandter, der bereits als versfreudiger Chronist der Neckermann- wie der Lang-Familie Erwähnung gefunden hat, ist ein Bild von einem Mann – groß und stattlich, mit dunklem, später weißem gewelltem Haar –, auch wenn seine Augen mehr fragen, als dass sie fordern. Für mich ist er eine gelungene Mischung aus Don Quichotte und Sancho Pansa. Er arbeitet in der Kohlengroßhandlung. Mein Großvater Neckermann hat ihn eingestellt, um ihn finanziell abzusichern. Denn Jopi lebt nicht in der Welt der Zahlen. Er lebt in der Welt der Poesie. Nach Feierabend ist er Rezitator. Und da seine erste Frau Thea chronisch krank ist und eine intensive Betreuung beansprucht, sind Rezitationsabende außer Haus und Besuche bei meiner Großmutter gesuchte und gern wahrgenommene Abwechslungen.
    Bei all seinen inneren und äußeren Vorzügen ist Jopis Stimme das Schönste an

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