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Wie ein Haus aus Karten

Wie ein Haus aus Karten

Titel: Wie ein Haus aus Karten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristin Feireiss
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ihm. Sie ist nicht nur sanft und einnehmend wie sein ganzes Wesen, sondern scheint aus der Tiefe seines übervollen Herzens zu kommen. Er ist ein Träumer und Zauderer, ein »Schöngeist«, wie ihn Necko ironisch, aber nicht ohne Sympathie nennt. Jopi Pfeiffer wünscht sich jemanden, der ihn bei der Hand nimmt und seine Zweifel zerstreut. Meine Großmutter tut beides. Manchmal gehen meine Großmutter und ich zu einem seiner Rezitationsabende, bei denen er sich, um die Kosten für einen Pianisten zu sparen, selbst am Klavier begleitet. Die Balladen und Gedichte von Conrad Ferdinand Meyer, Werner Bergengruen, Friedrich Hölderlin, Goethe, Matthias Claudius und Max Rößler bilden ein Potpourri aus Heldentum, Edelmut und Treue, dem Jopi durch die eigenen Gedichte »Der Erlöser« und »Die Auferstehung« noch eine religiöse Nuance verleiht.
    Jopi hat nur einen Makel, der gleichzeitig einen Mangel umschreibt. Er hat kein Geld. Doch dies ist ein Umstand, dem er keine nennenswerte Bedeutung beimisst. Materielle Besitztümer sind Werte, die in seiner Welt der schönen Worte nicht existieren. Die Wirklichkeit mit Stapeln von unbezahlten Rechnungen verdrängt er so lange, bis der Gerichtsvollzieher an die Tür klopft. Meine Großmutter hilft und hilft aus.
    Kommt Jopi Pfeiffer zu uns zu Besuch, dann hat Käthe, die Pfarrersköchin, die, wenn schon nicht mehr für einen Geistlichen, so doch wenigstens gern für einen Mann gesorgt hätte, einen Bienenstich gebacken. Käthe ist nicht nur empfänglich für den Segen Gottes, sondern auch für Jopis zerstreuten Charme. Meine Großmutter wiederum hält schwarze Schnürsenkel und schwarze Socken für ihn bereit. Denn wenn er wieder einmal ohne Schnürsenkel in den Schuhen zu uns kommt, was er gar nicht wahrgenommen hat, stellt sich beim Einfädeln der zu diesem Zweck bereitwillig ausgezogenen Schuhe heraus, dass die Strümpfe Löcher haben. Meine Großmutter ist eine praktische und vorausschauende Frau.
    Mit neuen Socken und Schnürsenkeln ausgestattet, geht Jopi dann oft mit meiner Großmutter und mir zusammen aus. Bei solchen Gelegenheiten lebt er auf. Er öffnet die Tür des Lokals mit elegantem Schwung, als wäre er Gardeoffizier im Dienste der Königin, nimmt meiner Großmutter den Mantel ab, geleitet sie zu ihrem Platz und schiebt ihr den Stuhl unter, bevor er sich selbst setzt. Dann verlangt er die Speisekarte, sucht mit Kennerblick den passenden Wein zum Menü aus und gibt angeregt durch den schweren Tropfen eine Privatvorstellung seiner Fähigkeiten als Entertainer, denen sich auch die übrigen Gäste des Lokals nicht entziehen können. Verlangt unser männlicher Begleiter schließlich die Rechnung, liegt ein Zögern in seiner Stimme. Und dann sehe ich, wie meine Großmutter ihm diskret ihre schwarze Geldbörse unter dem Tisch zuschiebt. Der Ober kommt, und Jopi zahlt, nicht ohne ein gutes Trinkgeld zu geben. Es ist mal wieder ein gelungener Abend, der nur dadurch eine kurze Trübung erfährt, dass ich meine Großmutter frage, was sie denn mit der Geldbörse unter dem Tisch mache, und, als ich einen Stoß an meinem Schienbein spüre, noch lauter hinzufüge: »Omi, warum trittst du mich denn?« Doch dann lachen wir alle drei, und unser männlicher Begleiter lacht am lautesten.
    Als ich älter werde, beschleicht mich der Gedanke, die Beziehung zwischen meiner Großmutter und Jopi sei nicht gleichgewichtig gewesen. Doch ich weiß bis heute nicht genau, ob es gleichgewichtige Beziehungen gibt und ob das überhaupt erstrebenswert ist. Inzwischen bin ich sicher, dass sich diese beiden Menschen auf unterschiedliche Weise gutgetan haben.
    Vor mir liegt die Fotografie eines berühmten Gemäldes von Christian Schad, das Porträt von Pater Aquilin. Meine Großmutter kennt den frommen Mann, der es in der Kirchenhierarchie weit gebracht hat, seit seiner Kindheit. Sein Taufname ist Anselm Reichert. Der 1894 in Oberbayern geborene Schad, der als einer der großen Maler der Neuen Sachlichkeit in die Kunstgeschichte eingegangen ist und schon zu Lebzeiten Erfolge in New York, London und Paris feiert, ist zu Beginn der 20er Jahre des vergangenen Jahrhunderts als junger, unbekannter deutscher Maler nach Rom gegangen und hat dort in eine reiche römische Familie eingeheiratet. Sein Wunsch ist es, Papst Pius XI. zu malen, was ihm mit Hilfe Pater Aquilins 1925 auch gelingt. Doch zunächst fertigt er ein Porträt des einflussreichen Paters und Vertrauten des Papstes an.
    SchadsÖlbild ist in

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