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Wie ein Haus aus Karten

Wie ein Haus aus Karten

Titel: Wie ein Haus aus Karten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristin Feireiss
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die in die Firma kommen, mit auf den Weg geben möchte. In großen, aus Metall gestanzten Buchstaben prangt es in der Eingangshalle der neuen Zentrale neben dem Fahrstuhl, der sowohl zu den Geschäftsräumen als auch zu unserer Wohnung führt: »Wo ein Wille, da ein Weg.« Das gefällige Ambiente, ein in Granit gefasstes Blumenbeet mit einem künstlichen Baumstamm, an dessen Zweigen Hängepflanzen in Keramiktöpfen baumeln, mindert nicht die Kraft der Aussage.
    Gemäß seinem Wahlspruch zweifelt Necko keinen Augenblick am Erfolg seines neugegründeten Unternehmens, zumal ihm sein rumänischer Pflegesohn Niko, der sich inzwischen neben seiner Tätigkeit in der Firma als Familienastrologe betätigt, eine leuchtende Zukunft vorhersagt. Für die Bewältigung des immer größer werdenden Versandhandels entwickelt Niko Hariton in seiner Eigenschaft als Ingenieur ein System, welches das reibungslose Sortieren der bestellten Waren garantiert.
    Nicht ganz so reibungslos entwickelt sich dagegen Nikos Beziehung zu seiner Ersatzfamilie. Dabei steht der Anlass für den endgültigen Bruch, der sich fast ein halbes Jahrhundert später ereignet, in keinem Verhältnis zu den Jahrzehnten der Familienzugehörigkeit und des gegenseitigen Vertrauens. Dennoch sind weder Niko noch Annemi in der Lage, über ihren Schatten zu springen. Annemi bittet ihren inzwischen pensionierten, ebenso schwermütigen wie schwerblütigen Pflegesohn, ihre Tagebücher und Briefe zu ordnen, und bietet ihm dafür Geld an. Sie ist davon überzeugt, richtig zu handeln. Niko, der diese Arbeit gern aus Freundschaft für sie getan hätte, reagiert mit den Worten: »Ich bin doch nicht dein Angestellter.« Ami fühlt sich missverstanden. Sie ist zutiefst verletzt. Als sie sich von Niko abwendet, tut es auch die restliche Familie.
    *
    Das erste Geschäft, das Necko nach dem Krieg abschließt, hat er nie vergessen: »1500 Handtücher in Kommission von der Firma Niemann & Harde«. Sein erster Handlungsreisender ist Toni Rommel, der von da an meinem Pflegevater ebenso bedingungslos ergeben ist wie zuvor meinem Vater. Wie mein Vater setzt auch mein Pflegevater auf den Familiennamen als Markenzeichen für sein Unternehmen. Eine Marketingstrategie, die damals auch Firmengründer wie Grundig, Brenninkmeyer und Horten wählten. Vor allem in Gesprächen mit seiner Frau wächst bei Necko die Überzeugung, dass die Personifizierung des Unternehmens und die damit verbundene persönliche Ansprache der Kunden zur Vertrauensbildung und dadurch zum Erfolg beitragen.
    In einem Schreiben an die Neckermann-Versand-Besteller vom April 1950 wendet sich Necko »An meine verehrten Kunden« und fährt in der ersten Person fort: »Ich freue mich sehr, dass ich Ihnen heute endlich wieder meine neue Preisliste zuschicken kann.« Die Kunden freuen sich auch. Sie fühlen sich ausgezeichnet, weil sich Josef Neckermann persönlich um sie bemüht. Necko schreibt in einem anderen Kundenbrief, nachdem er sich zuvor dafür entschuldigt hat, dass er so lange nichts von sich hat hören lassen: »Heute kann ich Ihnen sagen, ich bin nicht untätig gewesen, sondern habe die Zeit für Sie genutzt, um Ihnen die Waren bringen zu können, die Sie von mir gewöhnt sind.«
    Das teuerste Kleid des ersten, zwölf Seiten umfassenden Neckermann-Katalogs aus gemustertem Zellwoll-Musselin hat den Namen seiner Tochter Eva. Es kostet 13,45 Mark und wird als »fesches Damenkleid« angepriesen. Schon damals setzt Necko, jedem neuen Trend einen Schritt voraus, auf die »vollschlanke Dame jeden Alters«. Diesem Frauentyp empfiehlt er persönlich »Kleid Marianne, in dezenter Musterung mit weißer Blende am Kragen«. An die marketingstrategisch perfekten Texte, die zu Beginn aus Annemis Feder stammen, ist diese sicher ebenso unvoreingenommen und naiv herangegangen wie später an ihre Weihnachtsgedichte. Was Annemi schreibt und ihrem Mann für den ersten Katalog in den Mund legt, ist authentisch. Und genauso kommt es bei den Kunden an. Ihre Bedeutung bei der Entwicklung der Firmenstrategie gerade in den Anfängen hat meine Pflegemutter nicht erkannt. Sie sagt und tut einfach nur, wovon sie überzeugt ist: zum Beispiel davon, dass die Firma Neckermann »von der Idee getragen ist, vielen Menschen, vor allem Flüchtlingen, die Möglichkeit zu geben, sich besser zu kleiden«. Sie äußert das in einem ihrer wenigen Zeitungsinterviews aus dem Jahr 1954.
    Ungeachtet ihrer unverzichtbaren Mithilfe im Unternehmen hält sich Annemi

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