Wie ein Licht in der Nacht - Sparks, N: Wie ein Licht in der Nacht
trübe Fenster, die aussahen, als wären sie seit Jahren nicht mehr geputzt worden.
Keine Vorhänge …
Kein Schuhabstreifer …
Keine Windorgel …
Was hatte das alles zu bedeuten? Katie hatte das Gefühl, als würde sie den Boden unter den Füßen verlieren und durch einen Wachtraum schweben. Je näher sie kam, desto verlassener wirkte das Haus.
Sie blinzelte. Die Tür hatte einen großen Riss in der Mitte und war mit einem Brett nur notdürftig zusammengenagelt.
Wieder blinzelte sie und sah, dass oben in der Ecke ein Teil der Außenwand völlig vermodert war und dort ein gezacktes Loch klaffte.
Als sie ein drittes Mal blinzelte, merkte sie, dass der untere Teil des Fensters zerbrochen war und auf der Veranda Glasscherben lagen.
Trotzdem ging sie hin und spähte in das dunkle Haus.
Staub und Schmutz, kaputte Möbel, Abfälle, Müll. Nichts war frisch gestrichen, nichts geputzt. Fast wäre sie hingefallen, weil die Verandastufe beschädigt war. Nein, das war nicht möglich. Was war mit Jo passiert? Hatte sie nicht die ganze Zeit an dem Cottage gearbeitet und alles renoviert? Katie hatte doch selbst gesehen, wie sie die Windorgel aufhängte! Und immer wieder hatte sich Jo darüber beklagt, dass sie so viel am und im Haus machen musste. Sie hatte bei ihr Kaffee getrunken, und an einem Abend hatten sie beide bei Wein und Crackern zusammengesessen, und Jo hatte sich über Katie lustig gemacht, wegen des Fahrrads. Nach der Arbeit hatte Jo auf sie gewartet, und sie waren gemeinsam in die Bar gegangen. Die Bedienung musste sie auch gesehen haben, denn Katie hatte zwei Gläser Wein bestellt …
Aber Jo hat ihr Glas nicht angerührt, dachte sie.
Katie rieb sich die Schläfen. In ihrem Kopf ging alles durcheinander, weil sie eine Antwort suchte. Jo hatte auf den Verandastufen gesessen, als Alex sie abends nach Hause brachte. Er hatte sie doch auch gesehen …
Oder?
Langsam entfernte sich Katie von dem verlassenen Haus. Jo war real. Sie konnte unmöglich nur ein Fantasiegebilde gewesen sein. Das war völlig undenkbar.
Aber Jo fand alles gut, was du machst: Sie mochte den Kaffee, so wie du ihn trinkst, und die Klamotten, die du gekauft hast, fand sie super. Ihre Einschätzung der Angestellten im Ivan’s war genau wie deine eigene.
Plötzlich kam Katie ein Dutzend Kleinigkeiten in den Sinn, widersprüchliche Stimmen meldeten sich zu Wort …
Sie hat dort gewohnt!
Aber warum ist es dann solch eine Bruchbude?
Wir haben zusammen die Sternbilder studiert!
Du hast die Sterne allein betrachtet, deshalb weißt du immer noch nicht, wie sie heißen.
Wir haben bei mir Wein getrunken.
Du hast die Flasche allein geleert, deshalb wurde dir auch so schwindelig.
Sie hat mir von Alex erzählt! Sie wollte, dass wir ein Paar werden!
Sie hat seinen Namen nie genannt, bis du selbst erfahren hast, wie er heißt, und er hat dich doch von Anfang an interessiert.
Sie war die Trauerbegleiterin der Kinder!
Das war deine innere Begründung, weshalb du ihm nie von ihr erzählt hast.
Aber …
Aber …
Aber …
Die Antworten kamen schnell, eine nach der anderen: Deshalb hatte sie nie Jos Nachnamen erfahren, nie ihr Auto gesehen. Deshalb hatte Jo sie nie eingeladen und ihr Angebot, beim Streichen zu helfen, abgelehnt. Deshalb war Jo plötzlich in ihren Joggingsachen wie aus dem Nichts neben ihr aufgetaucht.
Auf einmal fügte sich alles zusammen, und Katie begriff:
Jo war nie dagewesen.
KAPITEL 43
Wie im Traum stolperte sie zurück zu ihrem eigenen Cottage, setzte sich in den Schaukelstuhl und starrte hinüber zu Jos Haus. War sie verrückt geworden?
Sie wusste, dass Kinder oft imaginäre Freunde hatten, mit denen sie sprachen. Aber sie war kein Kind. Klar, als sie nach Southport kam, stand sie sehr unter Stress. Sie war damals ganz allein, hatte keine Freunde, sie war auf der Flucht und schaute immer über die Schulter, weil sie Angst hatte, Kevin könnte hinter ihr her sein. Das wäre für jeden Menschen zu viel gewesen. Aber war es ein Grund, sich ein Alter Ego zu schaffen? Ein Psychiater würde das vielleicht so sehen, aber Katie hatte da ihre Zweifel.
Sie wollte es nicht glauben – und sie konnte es auch nicht glauben, weil sich alles so real angefühlt hatte. Sie erinnerte sich an ihre Gespräche, sie sah Jos Gesicht vor sich, hörte ihr Lachen. Die Erinnerungen an Jo waren genauso lebhaft wie ihre Erinnerungen an Alex. Aber wahrscheinlich war er auch nicht real, und sie hatte ihn sich nur eingebildet. Samt Kristen
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