Wie ein Licht in der Nacht - Sparks, N: Wie ein Licht in der Nacht
ihr Herz berühren. Auf einmal hatte sie Schwierigkeiten zu atmen.
»Sprichst du von mir?«, fragte sie mit belegter Stimme.
»Das weiß ich nicht. Kommt es dir so vor?«
Katie spürte, dass sie blass wurde, aber ehe sie etwas erwidern konnte, sagte Jo lächelnd:
»Eigentlich habe ich an meinen Tag heute gedacht. Ich habe dir ja schon gesagt, dass alles sehr anstrengend war. Also – das, was ich gerade gesagt habe, gehört auch dazu. Es ist so frustrierend und nervig, wenn die Leute nicht die Wahrheit sagen wollen. Wie soll ich ihnen helfen, wenn sie die Hälfte verbergen? Dann kann ich doch gar nicht wissen, was los ist.«
Katie bekam richtig Beklemmungen. »Vielleicht wollen sie ja darüber reden, aber sie wissen, dass du ihnen unmöglich helfen kannst«, flüsterte sie.
»Irgendetwas kann ich immer für sie tun.«
In dem Mondlicht, das durchs Küchenfenster fiel, schimmerte Jos Haut ganz hell. Ging sie nie hinaus in die Sonne? Der Wein bewirkte, dass sich das Zimmer drehte und die Wände Wellen bildeten. Katie spürte, wie ihr die Tränen in die Augen stiegen, und sie hatte alle Mühe, sie zu unterdrücken. Ihr Mund wurde trocken.
»Das glaube ich nicht«, entgegnete sie leise und schaute zum Fenster hinaus. Der Mond hing tief in den Bäumen. Sie schluckte, und auf einmal hatte sie das Gefühl, als würde sie sich selbst vom anderen Ende des Zimmers aus beobachten: Sie sah sich mit Jo am Tisch sitzen, und als sie anfing zu reden, schien es gar nicht ihre eigene Stimme zu sein. »Ich hatte einmal eine Freundin. Sie lebte in einer schrecklichen Ehe und konnte mit niemandem darüber sprechen. Ihr Mann hat sie geschlagen, und beim ersten Mal sagte sie zu ihm, wenn das nochmal vorkommt, dann verlässt sie ihn. Er schwor, dass es nie wieder passiert, und sie hat ihm geglaubt. Aber es wurde immer schlimmer. Wenn das Essen zu kalt war oder wenn sie erzählte, dass sie sich mit einem der Nachbarn unterhalten hatte, der mit seinem Hund unterwegs war, ging es schon los. Dabei war es ein ganz harmloses Gespräch gewesen. Aber an dem Abend hat ihr Mann sie gegen den Spiegel geschleudert.«
Katie starrte auf den Fußboden. In den Ecken löste sich das Linoleum ab, doch sie hatte keine Ahnung, wie sie das in Ordnung bringen konnte. Sie hatte es mit Klebstoff versucht, doch leider ohne Erfolg.
»Er entschuldigte sich hinterher immer, und manchmal hat er sogar geweint, wegen der blauen Flecken an ihren Armen und Beinen oder auf dem Rücken. Er sagte immer, dass er das, was er getan hatte, ganz furchtbar findet, aber im selben Atemzug fügte er hinzu, sie hätte es verdient. Wenn sie besser aufgepasst hätte, dann wäre es nicht geschehen. Wenn sie aufgepasst hätte oder nicht so dumm gewesen wäre, dann hätte er nicht die Beherrschung verloren. Sie versuchte, sich anzupassen, sich zu verändern. Sie gab sich große Mühe, eine bessere Ehefrau zu sein und alles genau so zu machen, wie er es wollte, aber es war nie gut genug.«
Katie fühlte den Druck der Tränen, und obwohl sie versuchte, sie zu unterdrücken, liefen ihr die Tropfen über die Wangen. Jo saß reglos auf der anderen Seite des Tisches und schaute sie nur an.
»Und sie hat ihn so geliebt! Am Anfang war er unglaublich nett zu ihr. Er gab ihr ein Gefühl der Sicherheit und Geborgenheit. An dem Abend, als sie sich kennenlernten, hatte sie gearbeitet, und nachdem ihre Schicht zu Ende war, wurde sie von zwei Männern verfolgt. Als sie um die Ecke bog, packte der eine sie und hielt ihr den Mund zu. Sie versuchte mit aller Kraft, sich zu befreien, aber die Männer waren natürlich viel stärker als sie, und wer weiß, was passiert wäre, wenn ihr zukünftiger Mann nicht vorbeigekommen wäre und dem einen Typen einen kräftigen Schlag in den Nacken verpasst hätte, so dass er zu Boden ging. Dann packte er den anderen und schleuderte ihn gegen die Mauer, und damit waren die beiden kampfunfähig. Einfach so. Er half ihr auf und begleitete sie nach Hause, und am nächsten Tag lud er sie auf eine Tasse Kaffee ein. Er war höflich und entgegenkommend und behandelte sie wie eine Prinzessin – bis zu den Flitterwochen.«
Katie wusste, sie sollte das alles nicht erzählen, aber sie konnte sich nicht mehr bremsen. »Zweimal hat meine Freundin versucht wegzulaufen. Das erste Mal ist sie freiwillig zu ihm zurückgegangen, weil sie nicht wusste, wohin. Und als sie das zweite Mal fortlief, dachte sie, sie sei endlich frei. Aber er suchte sie und schleppte sie wieder
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